Dezember 29, 2021

Die Flitterwochen sind vorbei!

Warum der Professor schon nach kurzer Zeit ins Grübeln kommt…

29. Dezember 2021

Von Adam Englert

Kein Kampf

“Die Leistung hat mir überhaupt nicht gefallen. Wir haben das Spiel nie kontrolliert, bis auf ein paar Momenten. […] Es geht um Elan, Physis und darum die zweiten Bälle zu gewinnen. In all diesen Bereichen, waren wir nicht gut. Die gute Nachricht ist, dass wir einen Punkt ergattert haben, aber die Leistung muss besser sein. […] Du musst bereit sein, die direkten Duelle zu gewinnen und das war heute selten der Fall. Im Ballbesitz haben wir den Ball zu oft hergeschenkt und wie beim Tor erschwert das die Dinge beachtlich. […] Heute war es keine Frage der Körpersprache, es war eine Frage der Physis. Wenn du hier gewinnen willst, musst du physisch agieren und dies war heute einfach nicht der Fall.” […] Unser größtes Problem waren unsere individuellen Fehler. Selbst nach dem Ausgleich, haben wir die Partie nicht kontrolliert und stattdessen die falschen Entscheidungen getroffen. […] Heute war es keine Frage der Formation, sondern eine Frage der Aggressivität. In drei Tagen steht das nächste Spiel an. Wir können besser spielen, aber vor allem müssen wir es auch. Wir dürfen nicht nach Ausreden suchen, wir müssen schlichtweg besser werden und physischer agieren.”

Ralf Rangnick zeigte sich nach dem mageren 1:1 bei Newcastle keineswegs zufrieden mit dem Auftritt der Red Devils. Der Schwabe war dabei über die fehlende Physis und Aggressivität besorgt, aber auch über die vielen individuellen Fehler. Dies könnte zwar auch an der zweiwöchigen Coronapause gelegen haben, doch auch vor zwei Wochen beim ebenso mageren und knappen 1:0-Sieg in Norwich, lieferte United bereits eine sehr bescheidene Leistung ab. Rangnick gab sogar zu, dass es keine Frage der Taktik sei, sondern der Einstellung, die an den zuletzt blassen Auftritten des englischen Rekordmeisters Schuld sei. Dies lässt erahnen, dass Ralf Rangnicks größte Hürde bis zum Saisonende nicht taktischer Natur sein wird, sondern die eigenen Spieler sein werden.

Kaum Fortschritte, langfristige Probleme

Wie schon gegen Norwich trat United taktisch deutlich verbessert im Vergleich zur Solskjaer-Ära auf, presste hoch, ließ den Gegner kaum zur Entfaltung kommen und war auch grundsätzlich das spielbestimmende Team. Allerdings war besonders die hochtalentierte Offensive größtenteils abgemeldet, da zwar die taktische Grundordnung stimmte, aber nicht die Abstimmung und die Feinjustierung. Dies kann sich zwar in den nächsten Partien von alleine regeln, dennoch lässt die Tatsache, dass sich das Team seit dem 1:0-Sieg über Palace nicht wirklich verbessert hat, dann doch an dieser Hoffnung zweifeln. In der Abwehr zeigte sich United zwar mit nur einem Gegentreffer in drei Premier League Partien unter Rangnick deutlich sicherer, dies lag aber überwiegend an überragenden Leistungen von De Gea, statt an neu gewonnener Stabilität. Als Fan auf dem Sofa merkt man zwar, was der “deutsche Professor” mit dem Team vorhat, bisher aber wirkt United unter Rangnick nicht wie ein Topteam, sondern wie ein Team aus dem Mittelfeld, das vor kurzem noch gegen den Abstieg gespielt hat. Dass wir mit Ronaldo, Fernandes, Sancho oder Greenwood einige der besten Offensivspieler der Liga auf dem Platz stehen haben, ist angesichts der mageren Torausbeute ein Indiz dafür, dass Rangnick eine gewisse Ordnung, aber noch keine gute Balance im Team hergestellt hat und weit davon entfernt ist das Maximum aus dem Starensemble heraus zu quetschen.

Problem Ronaldo?

Nein, Rückkehrer Cristiano Ronaldo ist nicht alleine Schuld an der Misere in dieser Saison, zudem spielt der mittlerweile 36jährige eine für sein Alter beachtliche Saison, in der er besonders in der Champions League teils überragende Leistungen abgeliefert hat. Dennoch wird in den Medien jetzt schon fleißig debattiert, ob die Rückkehr des portugiesischen Talismans unverhofft ein Fehler war, da die große Präsenz des vierfachen Ballon d’Or Gewinners möglicherweise unfreiwillig das fragile Mannschaftsgefüge gesprengt hat. So wirkt ausgerechnet Bruno Fernandes in dieser Spielzeit wie ein Schatten seiner selbst, der gegen Newcastle satte 26 mal den Ball an den Gegner verlor. Dies liegt zum einen daran, dass der beste Neuzugang der Vereinsgeschichte seit Robin van Persie seit seinem Wechsel Anfang 2020 kaum Pausen bekommen hat, andererseits wirkte es so, dass er nun hinter seinem Idol spielend, etwas verkrampft spielt, weshalb ihm die Lockerheit und Kreativität sowie die eigene Torgefahr abhanden gekommen ist. Zudem mussten die Eigengewächse Rashford und Greenwood gegen die Magpies auf ungewohnte Positionen ausweichen, was besonders dem abschlussstarken Greenwood überhaupt keinen Gefallen tat, während 85-Millionen Mann Sancho, trotz Aufwind unter Carrick, weiterhin noch nicht in Manchester angekommen ist. Ohne Frage, das Offensivspiel der Red Devils stockt gerade, weshalb Ralf Rangnick schnell eine Antwort finden muss, da knappe 1:0 Siege dank eines überragenden De Geas langfristig keine Lösung sein können. Vielmehr muss er die richtige Balance finden und womöglich auch immer mal wieder Spieler auf die Bank setzen, auch einen viermaligen Weltfußballer.

A long way from Hoffenheim

Wer die 0:5-Demütigung gegen Liverpool, die Kapitulation gegen City oder die Abreibung in Watford gesehen hat, weiß, dass die Probleme der Solskjaer-Amtszeit am Ende auf mehrere Faktoren statt lediglich auf taktische Mängel und geringer Erfahrung zurückzuführen waren. Mittlerweile verfügt United wieder über ein Starensemble, oder zumindest Spieler, die sich selbst für Stars halten und eben mal streiken, wenn sie den Trainer nicht mehr mögen. Diese “Stars” bei Laune zu halten, gleichzeitig aber taktisch zu schulen und zu einer Einheit zu formen, wird deshalb wohl auch die größte Aufgabe Rangnicks in den nächsten 6 Monaten. Bei allem Respekt für seine bisherigen Stationen, egal ob Hoffenheim, Schalke oder Leipzig, Rangnick hat noch nie einen so guten aber auch noch nie einen so prominenten Kader trainiert. Während der “Professor” bei seinen Stationen in Deutschland relativ gelassen und ungestört arbeiten durfte, muss sich Rangnick nun mit vielen Nebenschauplätzen und unzufriedenen Diven rumplagen. Manchester United ist nicht Hoffenheim oder Leipzig, das wird Ralf Rangnick mittlerweile gelernt haben.

Ein Haufen Jammerlappen

Diese Attitude brachte auch United-Legende Gary Neville auf die Palme, der sich nach der Newcastle-Darbietung über die Spieler aufregte:

“Sie meckern ständig nur. Sie sind ein Haufen Meckerziegen! Ein Haufen Jammerlappen! Schaut sie auf dem Platz an, Arme in der Luft, beschweren sich über alles! Ehrlich gesagt, waren sie grauenhaft in der ersten Hälfte. Sie haben dem letzten Trainer die Kündigung gebracht! Ralf Rangnick wird nicht entlassen, da er nur ein paar Wochen da ist, aber wenn es so weiter geht, werden sie noch einige Trainer verschleißen”. […] da stimmt irgendetwas nicht. Ich weiß nicht woran es liegt, aber es wird ständig nur gemeckert, jeder faucht den anderen an, aber sie helfen sich nicht gegenseitig. Die Stimmung in der Kabine ist unheimlich wichtig, doch momentan wirkt es so, als könnten sie sich nicht gut leiden. […] Wir reden oft über Körpersprache, z.B als Ronaldo gegen Everton davon rannte, gegen Watford dasselbe tat, als es klar war, dass der Trainer entlassen wird, und jetzt gegen Norwich. Und dann ist Fernandes auch nur am meckern. […] Das sind zwei erfahrene Spieler. Es ist wirklich deprimierend für junge Spieler, wenn die zwei besten Spieler jeden anderen Spieler signalisieren, dass er nicht gut genug ist.”

Kein Spieler ist größer als der Verein

Die gute Nachricht für Rangnick ist, dass es morgen Abend gegen Burnley weitergeht, weshalb die Partie gegen Newcastle schnell in Vergessenheit geraten wird. Generell wird der deutsche Trainer feststellen, dass das Fußballgeschäft in England sehr schnelllebig ist und dass sich die Dinge, eben aufgrund der großen Dichte an Spielen, sehr schnell ins negative oder positive ändern können – dabei braucht er nur bei Vorgänger Solskjaer oder bei Trainer des Monats August Espirito Santo nachfragen. Die schlechte Nachricht für Rangnick ist allerdings, dass United bis auf ein oder zwei Neuzugänge im Januar kaum große Änderungen am Kader vornehmen kann, weshalb Rangnick bis Saisonende dazu verdammt ist, mit den jetzigen Spielern zusammenzuarbeiten. Daher muss er die Spieler schleunigst die Spieler auf seine Seite bringen, oder eben hart durchgreifen, sonst droht sein Trainerintermezzo zu einem Fiasko zu werden. Denn langfristig wird es eben nicht funktionieren, den Verein umzukrempeln und gleichzeitig die Egos der Topspieler aufrechtzuerhalten. Rangnick, einer der erfahrensten und intelligentesten Trainer im Geschäft, wird dies schon wissen, weshalb es nur eine Frage der Zeit ist bis die “Ralfolution” seine ersten Opfer zurücklassen wird.

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