Oktober 25, 2021

Der Tag Danach

25. Oktober 2021

Von Adam Englert

Eine Klatsche mit Ansage

Paul Scholes, der vielleicht beste Mittelfeldspieler in der Geschichte Uniteds, hatte es bereits nach dem 3.2-Sieg gegen Atalanta erahnt: „Die erste Halbzeit hat mir Sorgen bereitet…Ich denke da an Liverpool am Sonntag und an Manchester City in zwei Wochen. In dieser ersten Hälfte hatten wir keine Ordnung, unsere zwei Sechser waren völlig auf sich alleine gestellt. Wenn du so gegen Liverpool oder Man City spielst steht es zur Halbzeit 0:3 oder 0:4, da ist die Partie gelaufen, da kommst du nicht mehr zurück“. Leider sollten sich Scholes Horrorvisionen gestern bewahrheiten, da Liverpool United im Old Trafford vorführte und Solskjaers Team am Ende mit 0:5 demütigte. Eigentlich hatte man gar Glück, dass Liverpool aus Angst vor Verletzungen ein Einsehen hatte und es bei den fünf Auswärtstoren beließ. Bereits zur Halbzeit hatten zahlreiche Fans das Old Trafford verlassen, normalerweise ein „No-Go“, aber in Anbetracht der historischen Abreibung nur verständlich, dass die Fans keine Lust hatten die Liverpooler Party im heimischen Stadion mitzuerleben. Solskjaer wirkte nach der Niederlage konsterniert, weigerte sich nach Schlusspfiff „aufzugeben“ oder gar seinen Rücktritt anzubieten. Als United-Fan hat man zwar auf ewig Empathie mit dem Triple-Helden von 1999, doch gleichzeitig hat man das Gefühl, dass die Niederlage gestern, zumindest in der Höhe und Klarheit doch vermeidbar gewesen wäre und zu großen Teilen auf die Kappe des Trainers geht.

Kein Taktisches Konzept

United war vom Anpfiff an mit der Aufgabe völlig überfordert und ließ Liverpool in der Defensive einfach gewähren. Zwar hatte man durch Bruno die erste Großchance der Partie, spätestens aber mit dem 0:1 der Gäste war klar, dass das Duell nur noch in eine Richtung kippen würde. Vor der Begegnung hatten Experten in aller Welt das Pressing, bzw. das mangelnde Pressing als große Schwachstelle ausgemacht. Diese Schwäche wurde auch sofort von Liverpool beim 0:1 ausgenutzt. Die Reds überspielten mit One-Touch-Spiel die löchrige Pressinglinie Uniteds mühelos, sodass Shaw, der möglicherweise das Abseits hätte aufheben können, sich bei einem 1 gegen 2 gegen Salah und Keita im Niemandsland befand, wodurch Liverpool fast schon kinderleicht durch Keita zum Führungstreffer spazierte. Dieser Treffer war sinnbildlich für das, was besonders in dieser Spielzeit, aber eigentlich in der gesamten Amtszeit Solskjaers schief läuft. Pressing und Gegenpressing, mittlerweile das A und O im modernen Fußball will einfach nicht gelingen, bzw. wird schlecht bis zögerlich ausgeführt. So verwundert es nicht, dass unsere einzig nennenswerte Taktik das Konterspiel gegen offensiv ausgerichtete Gegner ist. Ein Gefallen, den uns nur noch wenige Gegner tun. Im Gegenzug wirkte Liverpool, die keinesfalls ihr bestes Spiel zeigten, wie eine gefestigte Einheit, die in den richtigen Momenten defensiv Zugriff bekamen und auch kommunikativ und strategisch auf einer Wellenlänge waren. Man musste kein Genie sein, um zu erkennen, dass gestern zwischen beiden Teams nicht nur ergebnistechnisch, sondern auch taktisch Welten lagen.

Einsame Wölfe

Zurück zum Pressing. Pressing muss geübt sein und kann nicht über Nacht implementiert und perfektioniert werden. Wichtig sind dabei neben der Fitness, aber auch die Kommunikation. Sonntagnachmittag wirkte das Pressing bei den Red Devils, wenn überhaupt die Rede davon sein kann, halbherzig und chaotisch. Alternativ wäre es gegen einen Gegner wie Liverpool akzeptabel gewesen, tief zu stehen und zu kontern, was bisher in Topspielen (u.a. 2:0 bei City) oftmals zum Erfolg führte. Dies ist zwar nicht die Identität von United, aber eben eine sichere Variante, die besonders in Zeiten der sportlichen Krise im Erfolgsfall geduldet worden wäre. Stattdessen gab es gestern ein Hybrid- bzw. Alibi-Pressing, was weder Fisch noch Fleisch war und schlussendlich das Desaster einleitete. Egal ob Ronaldo, Greenwood, Rashford oder Bruno, es wurde zwar immer wieder angelaufen, aber eben alleine und nicht als Einheit. Kommunikation oder Ordnung? Fehlanzeige! Pressing funktioniert nur als kollektiv, als „Wolfsrudel“ sozusagen, wobei man zusammen anläuft und stets miteinander kommuniziert. Gestern gab es im Heimteam allerdings nur einsame Wölfe, die vergeblich herumirrten und am Ende vom gegnerischen Rudel, die seit Jahren perfekt organisiert als Pressingmaschine auftreten, lebendig aufgefressen wurden.

Keine Stammelf

Apropos eingespielt. Liverpool verzichtete zwar mit Fabinho, Matip und Mane auf drei Stammkräfte, dennoch blieb das Gerüst der Liverpooler Elf in Takt, sodass die Reds die drei fehlenden Routiniers problemlos kompensieren konnten. Bei United hingegen wurde deutlich, dass Solskjaer meilenweit davon entfernt ist, seine beste Elf zu kennen oder wenigstens ein Gerüst zu besitzen, auf das er vertrauen kann. In der letzten Rückrunde überzeugten Maguire und Shaw in der Defensive, spielten beide zudem eine überragende EM mit England, in der dieser Saison sind beide allerdings völlig neben der Spur. Auch Wan-Bissaka und Lindelöf, die in der letzten Saison sich zu verlässlichen Stammspielern etabliert hatten, wirken überfordert und ebenso in einem Formtief gefangen. In Anbetracht der desolaten Leistungen in der Abwehr (11 Gegentore in den letzten drei Spielen; ein Spiel zu Null in 2021/22) ist es fast schon ein Wunder wie das Team ohne Raphael Varane die letzte Spielzeit auf Platz 2 beenden konnte. Der Neuzugang, der Kapitän Maguire jetzt schon als Abwehrchef abgelöst hat, fehlt an allen Ecken und Enden, sodass man das Gefühl nicht los wird, dass ohne den Weltmeister von 2018 ein Top 4 Platz nicht möglich sein wird.

“McFred” stoßen an ihre Grenzen

Auch im Mittelfeld scheint Solskjaer keine personelle Lösung gefunden zu haben, um die Balance im Team wiederherzustellen. Fred und McTominay, die nie für Kreativität, aber immerhin für Stabilität standen, konnten einem gestern Leid tun, so sehr waren die beiden Sechser mit ihren Rollen überfordert. Eigentlich müsste einer der Positionen auf der Doppelsechs von Paul Pogba bekleidet werden, der weiterhin als einer der besten der Welt im Zentrum gilt, doch der Franzose agiert nun mit Ende 28 immer noch zu undiszipliniert, was er mit seiner Horrorgrätsche gegen Keita wieder unter Beweis stellte. Pogba bestritt bisher seine besten Spiele auf dem linken Flügel, angesichts der vielen Prominenten Außenstürmer ist es aber verständlich, dass dies langfristig keine Lösung ist. Viele Probleme der “McFred”-Sechs wurden gestern zudem von der offensiven Ausrichtung gefördert. In den letzten beiden Partien ist United quasi mit einer 4-2-4 Ausrichtung angetreten, in der neben Rashford und Greenwood auf den Außen Bruno und Ronaldo als Doppelspitze agierten. Dabei ist besonders die Rolle von Bruno problematisch, der zwar Kreativkopf im Team ist, aber mittlerweile kaum mit nach hinten arbeitet und seine Rolle als 10er sehr offensiv interpretiert. Dies gepaart mit einem Ronaldo, der mit 36 nicht mehr die Körner hat stetig weite Wege zu gehen, sowie ein nichtvorhandenes Pressing (siehe oben), führten dann eben zu einer Doppelsechs ohne Absicherung und schlussendlich zu der 0:5-Katastrophe, die uns noch für Jahre verfolgen wird.

Problemkind Ronaldo

“Letzte Saison wäre United gegen ein Team wie Liverpool hintendrin gestanden und hätte gekontert […] in dieser Saison geht dies aber nicht wegen Ronaldo. Er muss spielen, weil er Cristiano Ronaldo ist. Er hilft nicht in der Defensive aus, weil er Ronaldo ist. Er ist nicht beweglich genug, um im 4-4-2- System Solskjaers gegen hochstehende Teams zu spielen, da er mittlerweile 36 ist. […] Jedes Team dessen Trikot er überzieht wird unweigerlich zu FC Ronaldo, dies ist zwar für Trikotkäufe und Social Media förderlich, nicht aber um den Fußball zu spielen, der Titel gewinnt.” Guardian-Journalist und Taktikfuchs Jonathan Wilson ging heute sehr hart mit Ronaldo ins Gericht. Diese Sichtweise, wenn auch vertretbar ist sehr hart, da man den portugiesischen Stürmer sicherlich nicht alleine für die Misere verantwortlich machen kann. Der Fall Ronaldo ist stattdessen viel mehr eine Folge des fehlenden Transferkonzepts der Vereinsführung, da die Rückkehr des dreifachen Weltfußballers eher aus dem Nichts erfolgte und eher von Nostalgiegründen als aus Mangel an Offensivkräften motiviert war. So wirkt es schon befremdlich, dass Wunschkandidat Jadon Sancho bisher kaum eine Rolle spielt und Toptransfer der letzten Saison van de Beek völlig außen vor ist, während ein Ronaldo mit 36 sofort in die Startelf rücken durfte. Der Spontankauf von Ronaldo ist auch deswegen merkwürdig, da man auf der dünnbesetzten Sechserposition nicht aktiv wurde und weiterhin auf die umstrittenen Fred und McTominay oder Oldie Matic setzen muss. Eigentlich wäre der Transfer von Declan Rice die logische Lösung gewesen, um das Problem im Mittelfeld zu beheben, besonders mit Leihspieler Jesse Lingard in der Hinterhand, der als Tauschobjekt die Transfersumme hätte runterdrücken können. Die Vereinsführung hat jedoch offensichtlich keinen Bedarf auf der Position gesehen, da man anderen “günstigeren” Lösungen wie Ndidi, Bissouma oder Phillips auch nicht nachgegangen ist. Mit Sancho und Ronaldo sowie Varane in der Defensive war der Transfersommer keineswegs enttäuschend doch spätestens seit gestern muss man hinterfragen, warum im Sommer nicht wenigstens ein Spieler für das defensive Mittelfeld verpflichtet wurde.

Das Ende für Solskjaer

Stand jetzt ist Ole Gunnar Solskjaer noch im Amt, dennoch ist es kaum vorstellbar, dass sich der Norweger, ob des historischen Debakels, noch lange halten kann. In seinen fast drei Jahren hat der einstige “Super Sub” sich schon von einigen Krisen erholt, u.a. auch vom schlechten Saisonstart der Vorsaison, samt 1:6-Pleite gegen Tottenham, doch die verstörende Art und Weise der gestrigen Pleite darf eigentlich nur noch der letzte Nagel im Sarg seiner Amtszeit sein. So gerecht dies mittlerweile auch ist, schwingt als United-Fan doch etwas Wehmut mit, da die Sympathiefigur besonders zu Beginn seines Trainerdaseins bei United die ein oder andere Meisterleistung gecoacht hat, allen voran das Wunder von Paris oder auch die zahlreichen Derbysiege gegen die “Noisy Neighbours”. Als Nachfolger und Gegenentwurt zum zynischen und grimmigen Mourinho war Solskjaer ein Lichtblick, der als Interimstrainer Optimismus, Freude und Wärme ausstrahlte und auch rasch das vergiftete Klima wieder neutralisierte. Eigentlich war es klar, dass die Ära Solskjaer keine Ära wie die von Ferguson oder Busby werden würde, dennoch hätte man als United-Fan keinem den langfristigen Erfolg mehr gegönnt als Ole. Solskjaer ist eine Vereinslegende, der auch immer eine Legende unseres Vereins bleiben wird, ein Mann der andersrum United über alles liebt und den Ethos und die Tugenden des Vereins vorlebt.

Leider aber wird die Amtszeit nun voraussichtlich ohne Titel und ohne Happy End seinen Schlusspunkt finden. Zu groß sind die Probleme im Verein, zu ernst die sportliche Krise und auch zu gravierend die taktischen Mängel. Solskjaer hat es geschafft eine hochtalentierte Mannschaft aufzubauen, mit einem guten Mix aus heimischen Talenten und Weltstars, die auch bereit wäre um Titel mitzuspielen – theoretisch eben. Leider hat es Ole nie geschafft die Konstanz zu erreichen, die für das allerhöchste Level von Nöten ist. Ferner hat United unter ihm trotz vereinzelter guter Ergebnisse nie als Topteam gewirkt, die in der Lage ist ihre Gegner zu beherrschen und auch im entscheidenden Moment die wichtigen Spiele zu gewinnen. Daher ist es folgerichtig, dass Solskjaer in den nächsten Tagen abgelöst wird, damit das Team unter einem neuen Trainer endlich den letzten Schritt machen kann, um an die Erfolge aus den Tagen der Ferguson-Ära anzuknüpfen.

Quo Vadis, Manchester United?

Sollte Solskjaer demnächst von seinem Amt enthoben werden, wäre es vermessen in Jubelstürme auszubrechen, da sich die Suche nach einem Nachfolger alles andere als leicht gestalten wird. Seit dem Ende der Ferguson-Ära ist es bisher nicht gelungen einen geeigneten Nachfolger zu finden, der einerseits die nötige Erfahrung und Klasse, aber auch die nötigen menschlichen Eigenschaften hat, um den Verein langfristig voranzubringen. Wer auch immer nach Ole Gunnar Solskjaer das Traineramt innehat, wird keine leichte Aufgabe vor sich haben, nicht nur sportlich, sondern auch aufgrund der hohen Erwartungen, da es kaum einen größeren Verein auf der Welt gibt. Die Vereinsführung täte also gut daran, sich den nächsten Kandidaten sehr überlegt auszuwählen, anstatt wie bei den letzten Trainerverpflichtungen die offensichtlichste Lösung anzuvisieren. Heute am Tag nach der 0:5 Klatsche ist klar, dass Solskjaer als Trainer bei United keine Zukunft mehr hat, gleichzeitig sollte es jedem aber auch klar sein, dass ein Trainerwechsel nicht das Allheilmittel ist und nicht zwangsläufig zum Erfolg führt. Viel mehr brauchen wir endlich eine Vereinsführung, die eine klare Vision erarbeitet und diese langfristig zusammen mit dem Trainerteam umsetzt, so wie es auch bei unseren Rivalen allen voran Liverpool und City der Fall ist. Sonst wird auch ein Trainerwechsel zumindest vorerst nichts an der sportlichen Misere ändern.

Kommentar verfassen