
„Welcome to Hell“ – Uniteds Alptraum in Istanbul
Am Mittwoch reist Manchester United nach Istanbul, wo man gegen Galatsaray unbedingt drei Punkte braucht, um noch Chancen auf das Weiterkommen in der Königsklasse zu besitzen.
Sportlich wird die Partie ohnehin schwer genug, doch atmosphärisch wird die Begegnung auch eine Herausforderung werden, was einige Auswärtsteams in der Türkei schmerzlich erfahren mussten.
Dies widerfuhr auch United im Herbst 1993, als man bei Galatasaray ebenfalls einen Sieg benötigte, um die nächste Runde der Champions League zu erreichen. United hatte vieles erwartet, doch die Fahrt nach Istanbul sollte die furchteinflößendste und feindseligste Auswärtsreise der Vereinsgeschichte werden.
Hier nacherzählt von Steve Railston vom Manchester Evening Standard (Übersetzt von Adam Englert)
Ein unbehagliches Lächeln huschte über Eric Cantonas Gesicht, als Manchester United 1993 am Flughafen Istanbul ankam.
Galatasarays Anhänger hatten sich im Foyer des Flughafens versammelt und der Hass war spürbar. United war 3000 Kilometer fern der Heimat. Es fühlte sich aber nach viel mehr als das an. Die Stars von United waren es gewohnt, mit solchen ‚Begrüßungen‘ umzugehen, aber das hier fühlte sich einfach anders an. Das war eine beispiellose Feindseligkeit.
United hatte im Oktober 1993 im Old Trafford im Hinspiel der zweiten Runde der Champions League gegen Galatasaray gespielt und nur ein 3:3-Unentschieden geholt. Zum Rückspiel reisten sie dann nach Istanbul mit dem Wissen, dass eigentlich nur ein Sieg zum Weiterkommen reichen würde.
Vor dem Rückspiel gegen Galatasaray im November behauptete United erneut seine Dominanz auf heimischem Boden.
Nach nur 13 Spielen in der Premier League hatte man sich einen Vorsprung von 11 Punkten erarbeitet, doch der englische Meister stand vor einer einzigartigen Bewährungsprobe in Europa. Die Qualität von Galatasaray hatte United im Old Trafford überrascht und ihnen stand nun in der Türkei eine weitere Reifeprüfung bevor.
In den Medien gab es Berichte über die Feindseligkeit der Galatasaray-Anhänger, aber selbst die übertriebensten Schlagzeilen würden dem nicht gerecht werden. United war bereit, die Höhle der Löwen zu betreten. Das Ali-Sami-Yen-Stadion war jedoch bereit für den Krieg.
Galatasaray war der Außenseiter, aber sie mussten United nicht schlagen – ihre drei Auswärtstore im Hinspiel verschafften ihnen diesen Vorteil. Auch Galatasarays Trainer Reiner Hollmann gab den United-Fans nach dem Spiel im Old Trafford ein Versprechen.
„Sie werden am Flughafen auf euch warten“, sagte Hollmann und hatte damit nicht unrecht. Hunderte von Galatasaray-Fans strömten in das Terminal des Flughafens, um United „willkommen“zu heißen, und riefen den Spielern wütende Sprechchöre zu, die wiederum nervös lächelten und vorsichtig zum Bus gingen.
Hinter den Sicherheitslinien waren Transparente mit der Aufschrift „Willkommen in der Hölle!“ angebracht. und „Dies ist das Ende des Weges“.

„Ich erinnere mich genau daran. Es wird immer in meinem Gedächtnis bleiben“, resümierte Ryan Giggs im Jahr 2012. „Ich war 19 Jahre alt und als wir am Flughafen ankamen, brüllten Tausende von Fans einen an. Es wurden Gegenstände auf uns geworfen.“
Galatasarays Anhänger wollten uns einschüchtern, aber Ferguson spielte die Situation herunter, als er am folgenden Tag nach der Begrüßung am Flughafen gefragt wurde: „Sie haben offensichtlich noch nie eine Hochzeit in Glasgow gesehen.“
Dieses Gefühl würde sich bald ändern, und zwar so sehr, dass Ferguson geschworen hätte, nie wieder in die Türkei zurückzukehren.
„Das Rückspiel war sehr einschüchternd“, sagte Gary Pallister 2012 dem Independent.
„So etwas habe ich noch nie in meinem Leben erlebt. Wir waren damals noch keine erfahrene europäische Mannschaft. Wir hatten 1991 den Pokal der Pokalsieger gewonnen, aber dies war so ziemlich unser erstes Champions-League-Erlebnis in der Fremde.“
„Ich erinnere mich, dass wir an diesem wunderschönen Ort am Bosporus wohnten. Es war früher ein Palast und hatte ein riesiges Foyer. Ich stieg als Letzter mit meiner Ausrüstung aus dem Bus und war vielleicht 30 Meter hinter den anderen Jungs beim Einchecken.
„Einer der Hotelangestellten stand an der Tür und lächelte mich an. Er fuhr sich mit dem Finger über die Kehle und ich ging weiter und ich dachte: ‚Wir sind nicht einmal in diesem Hotel sicher‘.“
Schmeichels Schlaf wurde auch durch Anrufe unterbrochen, die in seinem Zimmer durchgestellt wurden, und United begann nun zu begreifen, dass sie sich tief im feindlichen Gebiet befanden; Die gesamte Türkei stand scheinbar hinter Galatasaray.
Dann kam der Spieltag, Mittwoch, der 3. November 1993, und die Mehrheit der Galatasaray-Fans traf acht Stunden vor dem Spiel im Ali-Sami-Yen-Stadion ein, um mit ihren Choreographien und Gesängen zu beginnen.

Das 35.000 Zuschauer fassende Ali-Sami-Yen-Stadion erhielt aus gutem Grund den Spitznamen „Die Hölle“. Das Stadion war von hoch aufragenden Eisenzäunen umgeben, und der Tunnel zur Umkleidekabine war unterirdisch, doch an der Oberfläche, über dem Spielfeld, bildete sich ein Kessel aus Lärm.
Der Empfang war eine Feuertaufe für den 19-jährigen Giggs und für Gary Neville, der 18 Jahre alt war und nur einen Einsatz in der ersten Mannschaft absolviert hatte. „Vor dem Spiel sagte uns der Trainer, wir sollten auf den Platz gehen und die Atmosphäre genießen“, erinnert sich Giggs.
„Die Fans waren bereits Stunden vorher im Stadion. 90 Minuten vor dem Anpfiff herrschte eine ausgelassene Atmosphäre. Wir standen mitten auf dem Spielfeld und sahen den Gesängen der Fans zu. Der Pegel wanderte von einer Tribüne zur anderen.“
Neville war genauso fassungslos wie Giggs. „Es gab so viele Leuchtraketen und so viel Rauch“, fügte Neville hinzu. „Es schien, als stünde das gesamte Stadion in Flammen.“
Auch Schmeichel war der Einschüchterung nicht ausgeliefert. „Vor dem Spiel habe ich Schmeichels Gesicht gesehen“, sagte der ehemalige Galatasaray-Spieler Hayrettin Demirbas 2012 gegenüber BBC Sport. „Er war am ganzen Körper weiß. Ich sagte ‚Viel Glück‘ und sah Angst in seinen Augen.“

„Es ließ Anfield wie eine Teestube aussehen“, erinnerte sich Pallister. Man geht davon aus, dass Hunderte von United-Fans, die nach Istanbul gereist sind, das Spiel nie gesehen haben.
Sie waren leichte Beute, weit weg von zu Hause und zahlenmäßig unterlegen. Einige wurden geschlagen, einige wurden beklaut und andere wurden Berichten zufolge aus zweifelhaften Gründen von der Polizei festgenommen.
Das Spiel war qualitativ mangelhaft und kämpferisch. „Sie waren brutal und hinterlistig“, schrieb Keane in seiner Autobiografie.
„Sie haben alle Tricks eingesetzt, haben sich bei jeder Gelegenheit hingeworfen, haben Zeit geschindet und den Schiedsrichter bedrängt.“ Die beste Chance des Spiels hatte Galatasaray, aber Schmeichel parierte hervorragend gegen Hakan Sükür, was das sichere Ausscheiden jedoch nur hinauszögerte.
Als Galatasaray immer weiter Zeit schindete, erreichte Uniteds Frustration ihren Höhepunkt. Als Reaktion darauf, dass sich die Gastgeber bei einem Einwurf Zeit ließen, schoss Cantona den Ball weg und stieß einem Spieler einen Ellbogen an die Brust, wofür er jedoch nicht vom Platz gestellt wurde.
United konnte jedoch in 90 Minuten keinen Torerfolg verbuchen, sodass man aufgrund der Auswärtstorregel ausschied. „Es gibt keine Entschuldigung für diese schreckliche Leistung“, sagte Ferguson nach dem Spiel. „Ich werde keine Zeit damit verschwenden, nach Ausreden zu suchen.
„Es war deprimierend zu sehen, wie völlig frustriert unsere Jungs waren, als Galatasaray uns alle in die Manndeckung nahm.“
Doch bevor Ferguson die Gelegenheit hatte, mit der Presse zu sprechen, „brach die Hölle los“, wie Keane Jahre später sagte.
Cantona ließ den Schweizer Schiedsrichter Kurt Rothlisberger unmissverständlich wissen, was er von seiner Leistung hielt, was ihm die rote Karte einhandelte. Cantona reagierte, indem er den Ball in die Luft fäustete

Robson hatte erkannt, dass Cantona außer sich vor Wut war. Er ging mit dem Franzosen – ihn am Arm führend – in Richtung Umkleidekabine,begleitet von einem Polizisten.
„Er hat Cantona begleitet, und ich wollte mich gerade beim Polizisten bedanken, als er Eric mit der Faust schlug. Eric stolperte ein paar Stufen hinunter, also drehte ich mich um, um dem Polizisten ebenso einen Schlag zu versetzen.“
„Dabei spürte ich wie ein Polizei-Schild auf meinem Rücken eindrosch. Ich fiel ein paar Stufen hinunter und schlug mit dem Ellbogen gegen die Wand. Eric wollte wieder hochgehen und kämpfen, aber da kamen die anderen Jungs schon die Stufen herunter und beruhigten uns.
Steve Bruces Version der Ereignisse gegenüber der Daily Mail im Jahr 2016 war ebenfalls lesenswert. „Hunderte von Polizisten mit großen Rottweilern bellen einen an“, sagte Bruce. „Einer fing an, Eric etwas anzupöbeln, also beschloss Eric, die Nettigkeit zu erwidern.
Über meine Schulter sehe ich Fergie die Treppe hinunterfliegen und in die Kabine einstürmen.
Zurück in der Umkleidekabine war Cantona wütend und untröstlich.
„In der Umkleidekabine war Eric außer sich vor Wut“, schrieb Keane in seinem Buch. „Während der Rest von uns einfach da raus wollte, war Eric entschlossen, den asozialen Polizisten zu erledigen, der seinen Schlagstock geschwungen hatte.
„Eric war ein großer, starker Kerl. Er meinte es ernst. Er bestand darauf, dass er diesen Idioten töten würde.“
„Fergie kommt hereingestürmt. Seine Haare sind durcheinander, seine Krawatte steckt unter seinem Ohr“, erinnert sich Bruce. „Er sagt: ‚Keiner von euch hat sich geprügelt, oder? Mein Team hat sich nicht etwa geprügelt, oder?‘ Und wir sagen alle: ‚Nein, Boss‘. Also sagt er: ‚Das habe ich mir auch nicht gedacht‘.“
„Er ging raus und erzählte der Presse, dass seine Spieler im Tunnel angegriffen wurden. Und ich erinnere mich, dass sich in dieser Nacht die Tür hinter ihm schloss und wir uns alle ansahen und sagten: ‚Er wird sich drum kümmern‘.
United schaffte es aus dem Stadion und in den Mannschaftsbus, dessen Fenster auf dem Weg zum Hotel von Ziegelsteinen zertrümmert wurden. Bruce, der seinen Kopf auf den Bus legte, wurde fast getroffen und gab zu: „Wenn der Ziegel durchgebrochen wäre, wäre ich tot gewesen.“
United kehrte nach Hause zurück und Ferguson schwor, nie wieder in die Türkei zurückzukehren … nur um in der folgenden Saison erneut gegen Galatasaray zu spielen.„
Morgen werden wir sicherlich wieder einen ungemütlichen Abend in Istanbul verbringen. Unsere Statistik in der Türkei ist ohnehin verheerend und auch Erik ten Hags Team ist in Europa verhältnismäßig unerfahren und sicherlich keinesfalls in der Favoritenrolle.
Dennoch lässt einen das Gefühl nicht los, dass ausgerechnet morgen sich das Schicksal in der einstigen Hölle zum Guten wenden wird.