
Das Meisterschaftsfinale 2007/2008 in Wigan
Es ist der 11. Mai 2008. Der letzte Spieltag der Premier League steht an und noch ist nicht geklärt, wer die Trophäe am späten Nachmittag in die Luft strecken wird.
Chelsea und Man United haben sich über 10 Monate einen erbitterten Kampf geliefert und liegen nach 37 Spieltag mit jeweils 84 Punkten gleichauf im Meisterschaftskampf, mit dem kleinen Unterscheid, dass United eine um 17 Tore bessere Tordifferenz besitzt. Somit ist klar, dass Chelsea darauf hoffen muss, dass die Red Devils Punkte lassen.

Chelsea hat allerdings den Vorteil, dass man zuhause gegen die Bolton Wanderers spielen muss, während United auswärts beim Lokalrivalen Wigan Athletic antreten muss, ein auf dem Papier deutlich schwierigeres Spiel.
Doch nicht nur das. Beide Teams liefern sich nicht nur in der Liga einen epischen Kampf, sondern treffen nur 10 Tage später aufeinander im größten Spiel überhaupt, dem Champions League Finale in Moskau.
Brisanz gibt es also genug, als beide Partien pünktlich um 15 Uhr Ortszeit angepfiffen werden.Fergusons Team weiß zwar, dass man das Geschehen in der eigenen Hand hat, realisiert aber gleichzeitig, dass jede Minute ohne eigene Führung den Druck auf das eigene Team erhöhen und die Fans unruhiger werden lassen wird.
Die Red Devils beginnen druckvoll und versuchen die Latics, für die es auf Platz 13 liegend um nichts mehr geht, in ihre eigene Hälfte einzuschnüren. Allerdings sind es die Gastgeber die früh den Ton angeben, während United sichtlich nervös agiert, was z.B an einem übermotiviertem Einsteigen von Scholes inklusive gelbe Karte deutlich wird. Zudem haben die Blauweißen von Trainer und Ex-United-Legende Steve Bruce die besseren Chancen, die Van der Sar aber vereiteln kann. Bei United dauert es hingegen eine Weile zum ersten Abschluss, ein Freistoß von Ronaldo, den Kirkland mit den Fäusten pariert.
Diese Chance weckt United jedoch, wonach die Rotweißen deutlich elanvoller auf den Kasten von Chris Kirkland hinarbeiten. Besonders auffällig ist Wayne Rooney, der immer wieder in den Strafraum eindringt und die physisch starke aber gleichwohl hüftsteife Abwehr der Gastgeber in Not bringt. So dann auch in Minute 32, als Rooney im Sechzehner vor Emerson Boyce an den Ball kommt und von diesem rüde zu Fall gebracht wird. Schiedsrichter Bennett zeigt auf den Punkt und es gibt Elfmeter, eine glasklare Sache! Ronaldo, Toptorschütze in der Liga mit 30 Toren, nimmt sich der Sache an, läuft kurz an und verlädt Kirkland mit einem harten sowie platzierten Elfer. Das unfassbar wichtige 1:0!

Von den zahlreichen mitgereisten United-Anhängern ist lauter Jubel, aber vorallem Erleichterung zu entnehmen. Somit weiß man, dass es nun egal ist was Chelsea macht, solange man dieses Ergebnis bis zum Schlusspfiff halten kann.
Dies ist jedoch einfacher gesagt als getan. Wigan verspürt nämlich anders als United überhaupt keinen Druck und spielt munter nach vorne. Aufgrund der Führung weiß United nun auch nicht wie mit dem Ergebnis umgegangen werden soll, wodurch die Angriffe etwas halbherzig werden und man hinten weiterhin einen nervösen Eindruck macht. Marcus Bent hat folglich im Anschluss an den Führungstreffer eine Riesenchance, trifft aber aus spitzem Winkel nur das Außennetz.
Besonders aber Paul Scholes ist an diesem Tag etwas neben sich und bringt Palacios im vollem Lauf zu Fall, ein gelbwürdiges Foul, was dem vorgewarnten „Ginger Prince“ einen Platzverweis einhandelt. Scholes hat aber das Glück auf seiner Seite, da Bennett es bei einer Verwarnung erlässt, eine klare Fehlentscheidung und eine riesige Portion Glück für United.

Zur Pause steht es folglich 1:0, während die Blues an der Stamford Bridge nicht über ein 0:0 gegen Bolton herauskommen. Dies bedeutet aber trotzdem, dass ein Tor jeweils für Chelsea und Wigan, die Lage kippen würde, weshalb für United unbedingt das zweite Tor braucht, um für Klarheit zu sorgen.
Ferguson findet in der Kabine jedoch offensichtlich die richtigen Worte, da sein United, auf der Suche nach der zehnten Meisterschaft in seiner Amtszeit, mit deutlich mehr Biss und Kontrolle in den zweiten Durchgang startet und nun auch so Fußball spielt, wie man es vom amtierenden Meister gewohnt ist.
Zunächst hat man dann auch selbst eine Portion Pech, da Scholes von Titus Bramble im Strafraum abgeräumt wird, die Pfeife von Schiri Bennett dieses Mal stumm bleibt. Womöglich eine Konzessionsentscheidung für die nichtgegebene Rote Karte aus der ersten Halbzeit. Egal! United lässt sich nicht beirren und spielt weiter nach vorne. Der überragende Rooney schießt danach aus dem Rückraum ins kurze Eck, nur von einer Monsterparade von Kirkland gestoppt zu werden.
United hat jetzt das Heft des Handelns in die Hand genommen, weiß aber, dass die 1:0 Führung kein sicheres Polster ist, besonders weil in Minute 62 Shevchenko die Blues gegen die wacker kämpfenden Trotters in Front bringt. Damit ändert sich nochmal die Ausgangslage und Dynamik des Nachmittags.
Ein Gegentor und die Meisterschaft wandert in letzter Sekunde nach Westlondon!
Ferguson weiß um die Gefahr und lässt kurz nach der Stundenmarke zwei Wechsel ausführen. Hargreaves ersetzt dabei den gelb-rot-gefährdeten Scholes, während Giggs für den laufstarken Ji-Sung Park kommt, der sich 60 Minuten die Lunge aus dem Leibe gerannt hat. Giggs hat zwar mit 35 Jahren nicht mehr die Körner für die 90 Minuten, kann aber mit seiner Erfahrung, Passsicherheit und Ausstrahlung das Spiel wie kein anderer beruhigen.
Nichtsdestotrotz wird es aus United-Sicht nicht minder nervenaufreibend. Wigan weiß genau was für die Red Devils auf dem Spiel steht und versucht weiter den Ausgleich zu erzielen und mutig nach vorne zu spielen. Die Mannschaft von Steve Bruce hat bis dahin keinen Titel gewonnen, weshalb das Scheitern Uniteds im DW-Stadium an jenem Tag das größte Ausrufezeichen der Vereinsgeschichte darstellen würde. Daher greifen die Latics weiter an und kommen dem Ausgleich auch bedrohlich nahe, als Heskeys Kopfball nur knapp über die Latte streift.
Eine weitere Erinnerung daran wie fragil die Führung für den 17. maligen englischen Meister ist.
Die Schlussphase bricht an und United ist weiter mental zwiegespalten. Einerseits möchte man das erlösende 2:0 schießen, andererseits aber nicht ein spätes 1:1 fangen und die Meisterschaft komplett verspielen. So geht es Minuten lang krampfhaft weiter, bis Mann des Tages Rooney einen Einfall hat:
Rooney bekommt den Ball am linken Flügel, dribbelt nach innen, täuscht kurz an und findet Giggs mit einem herrlichen Steckpass, der sich mit einer genialen Bewegung Platz verschafft. Die Ballannahme des Jokers ist perfekt und er schiebt den Ball cool und unaufgeregt an Kirkland ins Netz vorbei, so wie es nur ein Routinier wie Ryan Giggs bewerkstelligen könnte.
Was dann passiert ist schlichtweg eine Explosion von Glück und Ekstase. Die United-Spieler erdrücken Giggs anschließend in einem wilden Haufen vor der eigenen Kurve und Ferguson tanzt an der Seitenlinie als wäre er selbst wieder Anfang Zwanzig, während der Auswärtsblock wie selten eskaliert! Limbs!

Somit ist klar, dass die Meisterschaft 2007/08 wie schon im Jahr davor nach Manchester gehen wird, denn zwei Tore in zehn Minuten wird dieses limitierte Wigan dann doch nicht erzwingen können.
Als an der Stamford Bridge die Nachricht vom zweiten Treffer kursiert, herrscht Stille im weiten Rund, sodass auch die Starspieler wie Frank Lampard, Didier Drogba oder Michael Ballack einsehen müssen, dass die Messe endgültig gelesen ist. Dies führt sogar dazu, dass Bolton in der letzten Minute der Nachspielzeit gar den Ausgleichstreffer erzielt und die Blues neben der Meisterschaft auch die drei Punkte verlieren werden.
Dieses Ergebnis interessiert in Wigan als der Schlusspfiff ertönt aber schon gar keinen mehr. United spielt die Zeit mit dem 2-Tore-Puffer problemlos herunter und feiert anschließend entkräftet aber ausgelassen auf dem Rasen!
Die zehnte Meisterschaft in der Ära von Sir Alex ist damit perfekt und kein geringerer als Siegtorschütze Ryan Giggs darf an jenem Tag den Pokal in die Höhe recken! Die Red Devils belohnen sich damit für eine beeindruckende Saison, in der man sich mit einem außerordentlich starken Gegner, dem FC Chelsea, ein sensationelles Duell geliefert hat.

United ist am Gipfel angekommen, hat aber noch ein Ziel vor Augen, dem Gewinn der Champions League in Moskau, ausgerechnet gegen den Meisterschaftsrivalen FC Chelsea.
Und wer gedacht hat, dass das Meisterschaftsfinale 07/08 nicht an Spannung überboten werden könnte, sollte sich dann 10 Tage später im Regen der russischen Hauptstadt eines Besseren belehren lassen…