Februar 22, 2024

Langzeittherapie statt Wunderheilung – Ratcliffes Revolution braucht Zeit und Geduld

„Man braucht nicht einmal eine Brille, um zu sehen und zu analysieren, wo die Probleme liegen“ „Jetzt geht es darum, wie wir sie lösen? Es reicht nicht aus, ein paar kleinere Änderungen – kosmetische Dinge – vorzunehmen. In der Medizin würde man sagen, dass es sich dabei um eine Operation am offenen Herzen handelt. ”

Diese Worte von Interimstrainer Ralf Rangnick sind mittlerweile legendär, doch wirken sie fast zwei jahre später noch nach. Seit dem Trainerintermezzo Rangnicks hat sich wenig innerhalb des Vereins getan, weshalb die Worte des deutschen Taktikfuchses und Innovators als hellseherisch und aktueller denn je eingestuft werden. 

Mit der Bekanntmachung der Teilübernahme von Sir Jim Ratcliffe, Milliardär und United-Fan, könnte sich das Schicksal des Weltclubs, Manchester United, endlich zum Guten wenden. Dabei scheint es jedoch so, dass Ratcliffe nicht mit dem Skalpell zum Not-OP ansetzen wird, stattdessen aber eine deutlich zeitintensivere und allumfassende Behandlung in Gang bringen möchte.

Dabei ist klar, dass sich Sir Jim Ratcliffe, selbst United-Fan seit Kindestagen, der Fehler der Vergangenheit bewusst ist und dahingehend, seine Strategie durchdacht hat und an die Anforderungen des modernen Fußballs anpasst.

So ließ Ratcliffe unter anderem verlauten, dass man aufgrund der Beschränkungen durch das Financial Fair Play eine deutlich gemäßigtere und überlegtere Herangehensweise im Transfermarkt anstreben möchte, wobei “Charakter und die richtige Persönlichkeit” genauso wichtig wie der Name und das Profil des Spielers eingestuft werden. Daher scheint es, als wäre die Ära des Kaufs von Weltstars wie Zlatan Ibrahimovic, Paul Pogba oder Cristiano Ronaldo ein für alle Mal vorbei, Transfers, die uns in den letzten Jahren kein bisschen weitergebracht haben.

Um diese neue Philosophie umzusetzen, möchte Ratcliffe so früh wie möglich Dan Ashworth als Sportdirektor verpflichten, der von Newcastle beurlaubt wurde, allerdings noch 18 Monate unter Vertrag steht, weshalb komplexe Verhandlungen mit den Magpies bevorstehen, die laut Athletic bis zu 20m £ Ablöse verlangen.

Ashworth alleine ist nur ein Rad in der Maschinerie, dennoch wäre die Verpflichtung eines laut Ratcliffe “10/10 Sportdirektors” die vielleicht wichtigste Personalie der Post-Ferguson-Ära, die um ein vielfaches wertvoller als jeder potenzielle Weltstar sein könnte.

Ähnlich revolutionär ist dabei auch die Verpflichtung von Omar Berrada von Manchester City, der nicht nur die richtige Expertise aus dem blauen Teil Manchesters mitbringen wird, sondern mit seinem Wechsel zu United unterstreicht, wie verheißungsvoll das Projekt nach außen hin betrachtet wird, und in den nächsten Wochen und Monaten noch mehr Weltklassefunktionäre anlocken könnte.

Ein ebenso wichtiger Baustein beim langen und beschwerlichen Weg zurück an die Spitze ist eine Renovierung oder gar ein Neubau des Old Trafford. Jeder United-Fan, der in den letzten Jahren die Kultstätte besucht hat, wird genau wissen, dass das Stadion zwar noch seinen Charme und eine einzigartige Atmosphäre besitzt, gleichzeitig aber “veraltet und renovierungsbedürftig” ist und nicht mehr den Ansprüchen eines Vereins entspricht, der mit den Topteams in Europa mithalten möchte.

Ratcliffe geht dabei sehr offen damit um, dass er für einen Neubau plädiert und ein Weltklassestadion an selber Stelle wie das “alte” Old Trafford errichten möchte, dass zukünftig Länderspiele, FA-Cup- und auch Champion- League-Finals ausrichten wird, quasi ein “Wembley Nordenglands”, das nicht nur für United, sondern für die ganze Region Vorzeigestadion und Aushängeschild wird.

Dies ist sicherlich ein spannendes Projekt, aber auch eine Umstellung, die nicht alle Fans zufrieden stellen sollte. Das Old Trafford ist das Herzstück des Vereins und für United-Fans ein quasi heiliger Ort, den man nicht ohne weiteres für eine seelenlose High-Tech-Arena eintauschen sollte, wenngleich das jetzige Stadion in seiner jetzigen Verfassung  nicht länger tragbar ist. 

Dennoch sollte Ratcliffe hier Vorsicht walten lassen, und anders wie es die Glazers zwei Jahrzehnte lang gemacht haben, den Dialog mit den Fanvertretern suchen, um eine Lösung zu finden, die Anhänger und Fußballromantiker zufriedenstellt, aber eben auch dazu führt, dass United endlich wieder ein “Stadion der Spitzenklasse” als Heimat besitzt. 

Die Tatsache aber, dass Gary Neville, United-Legende und neuerdings Unternehmer, Teil einer Taskforce zum Stadion (Um)Bau sein wird, deutet an, dass Ratcliffe auch hier mit der richtigen Seriosität vorgeht und die richtigen Leute um sich versammelt hat.

Die Restrukturierung des Vereines nimmt schon Formen an, die Transferphilosphie steht und auch ein neues Stadion steht in Aussicht, dennoch ist die wohl wichtigste Frage, wie man United sportlich zurück an die Weltspitze führen kann.

Ratcliffe ist sich hier auch wieder bewusst, dass dies ein Prozess ist, der nicht heut auf morgen vonstatten gehen kann, sondern lange dauern wird:

„Es ist nicht so einfach, wie einen Lichtschalter umzulegen. Es ist nicht nur eine einfache kurzfristige Lösung. Wir müssen unbedingt die Lösung finden und nicht zur Falschen gehen.

„Das kurzfristige Problem ist, dass wir in die Champions League wollen. Es ist eine zwei- bis dreijährige Herausforderung, die Organisation und das Umfeld richtig hinzubekommen, damit die Leistungen auf dem Spielfeld stimmen und wir Fußballspiele gewinnen.”

Dies heißt aber nicht, dass Ratcliffe nicht kämpferisch an die Herausforderung herangeht. So wiederholte er die berühmten Worte von Sir Alex, dass er die zwei großen Rivalen, Liverpool und City “vom Sockel stoßen möchte”. So schön es auch klingt, wird es aber Zeit brauchen sowie auch die richtige Struktur im Verein, die Ratcliffe mit seinem INEOS-Team in den nächsten Jahren implementieren und aufbauen möchte.

Die Betonung liegt hier aber auf die Zeit. Wir United-Fans, die in den letzten 11 Jahren seit dem Abgang von Sir Alex das Leiden gelernt haben, werden wohl noch die ein oder andere Meisterschaft unserer Rivalen erdulden müssen, ehe wir selbst wieder um die großen Titel mitspielen können.

Dabei sollte man natürlich auch betonen, dass Ratcliffe und sein INEOS-Team keine Wunderheiler sind und auch auf dem potenziellen Weg nach oben den ein oder anderen Fehler machen werden und auch Rückschläge hinnehmen müssen. Dabei reicht ein Blick nach Südfrankreich, zum OGC Nice, die ebenfalls als Besitzer Sir Jim Ratcliffe haben, und noch keinen sportlichen Höhenflug im französischen Fußball hingelegt haben.

Zudem sollte nicht vergessen werden, dass die Glazers weiterhin den Großteil des Vereins besitzen und jedem Vorhaben Ratcliffes zustimmen müssen, was viele Prozesse verlangsamen und komplizieren könnte, wenngleich Sir Jim bekräftigt hat, dass die Zusammenarbeit mit Joel und Avram Glazer sehr positiv voranschreitet.

Das soll nicht heißen, dass Ratcliffe und INEOS uns keinen Erfolg bringen werden, sondern lediglich, dass wir als Fans unsere Erwartungen mäßigen sollten und eben geduldig sein müssen, da die Genesung unseres Clubs nicht mit einem einmaligen Eingriff, wie von Ralf Rangnick gefordert, herbeigeführt werden kann.

Stattdessen sollten wir die Restrukturierung unter Ratcliffe als Langzeittherapie betrachten, die erst in ein paar Jahren Früchte trägt und bis dahin mit viel Arbeit, Geduld und Durchhaltevermögen einhergehen muss.

Schlussendlich aber können wir aber froh sein, dass die Alleinherrschaft der Glazers zu Ende ist und wir mit Sir Jim Ratcliffe einen neuen Mitbesitzer haben, der die Probleme unseres Vereins in Angriff nimmt und zu lösen versucht, ein Prozess der nach 19 Jahre Glazer-Misswirtschaft längst überfällig ist.

Und dafür sollten wir Sir Jim Ratcliffe unendlich dankbar sein – auch wenn niemand weiß, was die Zukunft versprechen mag.

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