
Manchester United 2024/25: „Alles neu” oder „Alles beim Alten”?
15. August 2024
Von Adam Englert
Ende Mai, einige Tage vor dem FA Cup Finale wurde in vielen Medien berichtet, dass Erik ten Hag nach einer enttäuschenden Saison entlassen werden würde, ungeachtet des Ausgangs des Endspiels gegen City.
Wie wir alle wissen, sollte Alles anders kommen: United zeigte im Endspiel in Wembley gegen den Stadtrivalen die beste Saisonleistung, womöglich sogar das beste Spiel der Post-Ferguson-Ära, und gewann die Begegnung gegen den haushohen Favoriten verdient mit 2:1. Wenige Tage später wurde dann die 180 Grad Kehrtwende bekannt, dass Erik ten Hag seinen Job behalten würde, anders als Louis van Gaal acht Jahre zuvor, der nach dem FA Cup Sieg die Segel streichen musste. Eine Entscheidung, die die neue Reife der Führungsebene unter Sir Jim Ratcliffe und Ineos verdeutlicht, die nicht impulsiv handelt, sondern mit Weitsicht und Geduld agiert und die langfristigen Ziele in den Vordergrund stellt.
Trotz FA Cup Titel sollte allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass man die Saison 2023/24 in der Premier League auf Platz 8 beendet hat, der schlechtesten Platzierung seit der Einführung der Liga im Jahr 1992. Obendrein lieferte man phasenweise über Wochen katastrophale Leistungen und produzierte dabei einige der unansehnlichsten Spiele, die das Old Trafford jemals gesehen hat. Die schwache Ligaform gepaart mit einer desaströsen Champions League Kampagne, in der man in einer Gruppe mit Kopenhagen und Galatasaray auf dem letzten Platz landete, legte in der Mannschaft eklatante Schwächen offen, die auch sicherlich zum Start der neuen Saison nicht automatisch verschwinden werden können.
Ineos Revolution
Nichtsdestotrotz besteht Grund für Optimismus und das liegt zum großen Teil an der neuen Struktur im Verein. Seitdem Sir Jim Ratcliffe und seine Ineos-Gruppe Minderheitenaktionär bei United geworden sind – und noch viel wichtiger für die Organisation in der Sportabteilung verantwortlich sind – hat United nun nach vielen Jahren wieder eine Struktur, die der eines europäischen Spitzenclubs gerecht wird. Somit waren die wichtigsten Neuzugänge diesen Sommer keinesfalls die neuen Spieler, sondern u.a. Omar Berrada der neue CEO, den man von Man City loseisen konnte, sowie auch Sportdirektor Dan Ashworth und Technischer Direktor Jason Wilcox, die von Newcastle und Southampton nach harten Verhandlungen verpflichtet wurden.

Die Früchte der neuen Führungsebene werden vermutlich erst in einigen Jahren sichtbar, dennoch kann man dem Verein nicht mehr vorwerfen, führungs-, planlos und ziellos da zu stehen, sodass wir auch davon ausgehen können, dass wir auf dem Transfermarkt deutlich souveräner agieren als in der katastrophalen Ära von Ed Woodward und Richard Arnold.
Neben der Führungsebene hat sich im Sommer auch Erik ten Hags Trainerteam grundlegend geändert. Die bisherigen Co-Trainer Mitchell van der Gaag und Steve McClaren haben United einvernehmlich verlassen. Neu dabei sind nun die beiden Niederländer Rene Hake sowie Clublegende Ruud van Nistelrooy, die als Assistenten wichtigsten Stützen auf dem Trainingsplatz sein werden.

Ebenso neu dabei ist Andreas Georgson, der seinen Cheftrainerposten bei Lilleström geräumt und nun bei United für die ruhenden Bälle zuständig sein wird, womit wir nun mit Ten Hag, Hake, Van Nistelrooy und Georgson vier Trainer im Team haben, die bereits als Cheftrainer gearbeitet haben, wertvolle Erfahrung und Expertise sowie auch neue Impulse, die der Mannschaft gut tun werden.
Transfers
So wichtig die neue Ineos-Struktur ist, sollte man dennoch nicht das neue „Spielermaterial“ klein reden. Gleich zweimal wurde United in der Innenverteidigung aktiv, indem man zunächst das Toptalent Leny Yoro von Lille für 62 Mio € verpflichtete und dann diese Woche zudem kurz bevor steht, den Transfer von Matthijs de Ligt von Bayern perfekt zu machen. Diese Investition war immens wichtig, da sich letzte Saison auf dieser Position die akutesten Verletzungsproblemen ergaben, wodurch der 37-jährige Jonny Evans sowie Youngster Willy Kambwala mehrmals aushelfen mussten.

Eine Neuerung gibt es desweiteren auf der Rechtsverteidigerposition, wo Noussair Mazraoui wohl Aaron Wan-Bissaka ersetzen wird, der für 15 Mio £ zu West Ham gewechselt ist. Dabei bleibt abzuwarten, ob Mazraoui dem Dauerbrenner Diogo Dalot den Stammplatz streitig machen kann. Mazraoui wird insgesamt sicherlich mehr Offensivimpulse als AWB setzen können, dennoch bleibt offen, ob wir Wan-Bissakas Qualitäten im Eins gegen Eins womöglich nachtrauern werden.

Letztlich gibt es im Sturm noch einen Neuzugang, nämlich Joshua Zirkzee, der vom italienischen Überraschungsteam Bologna für 40 Mio € gekommen ist. Zwar kann Zirkzee (noch) keine beeindruckenden Zahlen vorweisen, dafür ist der Niederländer, ähnlich wie Rasmus Hojlund, ein Mittelstürmer mit großem Potenzial, der in den nächsten Jahren zu einem der besten Stürmer Europas heranwachsen kann, dafür allerdings Zeit brauchen wird, was natürlich für all unsere Neuzugänge zählt.
Der Sprung zum größten Verein der Premier League ist nie einfach, da der Druck bei Englands Rekordmeister immens hoch ist und auch die Gegner in der Liga auf allerhöchstem Niveau agieren, und gegen United aus Prestigegründen gerne 5-10% drauflegen. Daher wird man den neuen Spielern Zeit geben müssen, da es insbesondere bei den Jungen Wilden wie Yoro, der ohnehin drei Monate ausfällt, und Zirkzee bis zur neuen Saison dauern könnte, bis sie sich an den rasanten und kampfbetonten englischen Fußball und die neue Umgebung gewöhnt haben.
Kader
Trotz der kostspieligen Transfers ist der Kader auf einer Position noch nicht 100%ig besetzt. Dabei ist die Rede vom zentralen Mittelfeld, wo Casemiro in der vorangegangenen Saison nicht an seine starke Form aus der Saison 22/23 anknüpfen konnte und nun mit 32 Jahren über seinem Zenit hinaus zu sein scheint. Ungeachtet dessen haben sich die Verantwortlichen dagegen entschieden Sofyan Amrabats Kaufoption zu ziehen, obwohl der Marokkaner in der Rückrunde immer mehr zu überzeugen wusste und auch beim 2:1-Sieg im FA Cup eine überragende Partie absolvierte.

Dadurch gibt es mit Academy-Spieler Toby Collyer lediglich einen Spieler, der Casemiro 1:1 ersetzen kann, während Scott McTominay und Christian Eriksen die anderen Alternativen darstellen. Somit ist dies die einzige Position, wo noch Bedarf besteht und womöglich noch bis zum Transferschluss agiert werden könnte. Vollendet ist der Kader keinesfalls, trotzdem kann man auf den restlichen Positionen konstatieren kann, dass genügend Qualität vorhanden ist, sofern natürlich anders als letzte Saison alle langfristig fit bleiben können.
So könnte United zur neuen Spielzeit auflaufen:

Vorbereitung
Durch die EM und der Copa America sowie des Community Shield Finals, das am Samstag gegen City verloren ging, war die Vorbereitung etwas kürzer als sonst. Trotz allem gab es fünf Testspiele, wovon zwei gewonnen werden konnten, (Rangers und Betis) während drei verloren gingen (Liverpool, Arsenal und Rosenborg). Große Erkenntnisse gab es wohl keine, wenngleich sich mit Harry Amass und Toby Collyer zwei Academy-Spieler in der Vordergrund gespielt haben, die in der kommenden Saison, zumindest im EFL-Cup und in der Europa League, auf Einsätze hoffen können.

Trotz einiger Niederlagen ist positiv zu bewerten, dass die Mannschaft im Vergleich zur Vorsaison gefestigter wirkt und beispielsweise im Community Shield Finale nur 0,48 xG gegen City zuließ, ein Indiz, dass die Defensivarbeit und -abstimmung deutlich besser als in der Vorsaison funktioniert. Dies ist allerdings nur ein erster Eindruck, der am Freitagabend gegen Fulham womöglich ganz anders aussehen kann.
Der neue Europapokal-Modus
Die größte Umstellung zur neuen Spielzeit steht im Europapokal an, wo der Modus der Vorrunde komplett umgekrempelt wurde. Somit nehmen heuer 36 Teams an der Europa League teil, anders als in den Jahren davor als es erst 48 und dann 32 waren. Die eigentliche Änderung besteht aber nun darin, dass es keine Vierergruppen mehr geben wird, sondern eine große Tabelle mit allen 36 Teams, die alle anhand ihrer Ergebnisse platziert werden. Die 36 Teams werden dabei in vier Töpfe a neuen Teams verteilt, wo dann jedem Team jeweils zwei Gegner aus jedem Topf zugeordnet werden.
Anders als in den Jahren davor gibt es kein Hin- und Rückspiel, sondern gegen jeden der acht Gegner jeweils eine Partie, davon vier Heimspiele und vier Auswärtspartien Die besten acht Teams der „Ligaphase“, also diejenigen, die in der Tabelle oben stehen, qualifizieren sich dann direkt für das Achtelfinale, während die nächst besten 16 Teams in einem Zweiunddreißigstelfinale gegeneinander antreten werden, um die letzten acht Achtelfinalisten zu entscheiden.
Dieser Modus ist zum einen äußerst spannend, da man noch nicht vorhersagen kann, welche Dynamik sich daraus entwickeln wird. Was aber feststeht ist, dass es zwei Spiele mehr geben wird, wodurch die ohnehin schon hohe Belastung der Profis noch weiter ansteigen wird. Daher wäre Ten Hag gut beraten, insbesondere in diesem Turnier seinen Kader etwas zu rotieren und auch den jungen Wilden hier vermehrt Spielpraxis zu geben.
Andererseits wird man auch versuchen müssen, in der Ligaphase einer der ersten acht Plätze zu erreichen, um der extra KO-Runde zu entgehen, sodass zu viel Rotation wiederum eine höhere Belastung bedeuten könnte, wenn man Platz 1-8 verpasst. Ein Balanceakt also, der manch Trainer Kopfschmerzen bereiten könnte, gleichzeitig aber an den acht Spieltagen für reichlich Spannung sorgen wird.
Konkurrenz
Die unbequeme Wahrheit ist, dass der Ausgang der Premier League Spielzeit nicht alleine in unseren Händen liegt, sondern auch von der Form unserer Gegner abhängig ist. Wie jedes Jahr besitzt Englands erste Liga die größte Dichte an Topteams weltweit, die auch in diesem Sommer weiter an personell an Qualität gewonnen haben. Mit Blick auf die Vorsaison, in der sich Meister City und Arsenal ein atemberaubendes Duell auf Weltklasseniveau geliefert haben, wird es schwer für United, die Citizens oder Gunners zu überflügeln, wenn es nicht bei einem zum Einbruch kommt.

Daher ist Platz 3 in der Liga wohl ein realistisches, wenngleich hochgestecktes Maximalziel, da die weitere Konkurrenz, sei es Erzrivale Liverpool neu ausgerichtet unter Arne Slot, die Pressingmaschine Tottenham, das Überraschungsteam der Vorsaison Villa, oder auch das finanzschwere Newcastle, immense Qualität besitzen und ebenfalls den Anspruch haben einen CL-Platz zu ergattern.
Ausblick
Folglich muss sich United im Vergleich zur Vorsaison in allen Belangen steigern, in erster Linie bei der Punkteausbeute, aber auch im Ansatz sei es taktisch oder spielerisch, wenn man einen Platz in den Top 4 oder Top 5 ergattern möchte.
Bei aller berechtigten Skepsis, darf man trotzdem hoffnungsvoll auf die neue Spielzeit blicken, insbesondere wenn man das letzte Spiel der Vorsaison betrachtet. Im FA Cup Finale war die Handschrift von Erik ten Hag deutlich erkennbar, so wie auch das riesige Potenzial, das unsere junge Mannschaft besitzt. Beim Finalsieg gegen den Stadtrivalen haben wir gezeigt, dass wir (an einem guten Tag) mit den besten der Welt auf Augenhöhe agieren und dabei auch ansehnlichen Fußball bieten können, so wie man es von Manchester United erwartet.
Dadurch muss Erik ten Hag mit seinem runderneuerten Trainerteam daran arbeiten, dass wir solche Leistungen regelmäßig, im Idealfalls Woche für Woche abliefern können, wovon wir in der Vorsaison meilenweit entfernt waren. Ten Hag wird erkannt haben, dass er letzte Saison eine Niederlage von der Entlassung entfernt war, womit der Niederländer wissen wird, dass er eine weitere verkorkste Ligasaison wie die letzte nicht überleben wird.

Letztendlich können wir aber froh sein, dass die neue Ineos-Führung im Sommer ihre Weitsicht und Geduld zur Schau stellte und Erik ten Hag trotz aller Kritik nicht entlassen, sondern mit einem neuen Vertrag ausgestattet hat – ein Vertrag, den sich der Niedeländer mit zwei Titeln in zwei Spielzeiten sicherlich auch erarbeitet und verdient hat. Sir Alex Ferguson hat wohlegmerkt einst fast vier Spielzeiten gebraucht, um seinen ersten Titel zu gewinnen, so wäre es auch absurd von Erik ten Hag zu erwarten, dass er nach nur zwei Jahren um die Meisterschaft mitspielt.
Folglich ist die einzig realistische Erwartungshaltung gegenüber der Saison 2024/25, dass wir uns taktisch und spielerisch weiterentwickeln, uns natürlich gegenüber Platz 8 in der Liga deutlich verbessern und zumindest einen Platz in der Europa League, im Idealfalls in der Champions League sichern, was aber aufgrund der Konkurrenz kein einfaches Unterfangen wird. Sollten wir dann noch obendrein überwiegend schöne Spiele zeigen, offensiv spielen und die Gier nach Toren und Siegen wiederentdecken, kann man als Fan mehr als zufrieden sein.
Ein Fußballfloskel von Trainerlegende Otto Rehhagel besagt jedoch: “Die Wahrheit liegt auf dem Platz”. Daher werden wir erst in den kommenden Wochen und Monaten lernen, ob wir in dieser Saison einen neuen, verbesserten Rekordmeister zu sehen bekommen, oder ob beim Post-Ferguson-United doch wieder alles beim Alten ist…