Dezember 9, 2024

Das 3-4-3 Dilemma: Kann Amorims System bei United funktionieren?

Die fünf Spiele unter Amorim haben guten Anschauungsunterricht geliefert, welche Vorteile und Nachteile das neue 3-4-3 System mit sich bringt.

Positiv ist bisher, dass man in den fünf Partien mehr Spielkontrolle hatte und lediglich gegen Arsenal (50%) nicht die Ballbesitzwertung dominiert hat. Ebenso ist bemerkbar, dass man in der Defensive trotz der sieben Gegentore sicherer verteidigt und grundsätzlich weniger Großchancen zulässt, was daran liegt, dass man aufgrund der drei Innenverteidiger seltener in Unterzahlsituationen gerät. Angesichts der letzten Ergebnisse (inkl. 8 Gegentore)  ist dies schwer zu glauben, aber die letzten Gegentore gegen Bodö/Glimt, Arsenal und Forest waren allesamt Standards oder individuelle Fehler, die wenig mit der taktischen Herangehensweise zu tun hatten.

Im Angriff hat die neue Spielweise ebenso einiges bewirkt, so konnte Ruben Amorim bewerkstelligen, was Erik ten Hag in mehr als zwei Jahren nicht gelang, nämlich ein Premier League Spiel mit mehr als 4 Toren Differenz gewinnen. Insgesamt stehen in den fünf Amorim-Spielen 10 Treffer zu Buche, darunter 9 Stürmertore, wobei lediglich Brunos Anschlusstreffer gegen Forest von einem Mittelfeldspieler stammt. Dadurch wird deutlich, dass die Angreifer im neuen System besser eingesetzt werden und mehr Chancen bekommen, als zuvor unter Ten Hag, womöglich der größte Mangel in der Amtszeit des Niederländers.

Auf der anderen Seite der Medaille stehen die negativen Elemente der neuen 3-4-3-Ausrichtung. Obwohl sich grundlegende Dinge in der neuen Formation verbessert haben, gibt es noch einige Abstimmungsprobleme, die auch im Personal ihren Ursprung haben. Bisher ist Amad Diallo der womöglich der große Gewinner seit der Entlassung von Erik ten Hag und der Systemänderung unter Amorim. Der 22-jährige Ivorer fühlt sich als Schienenspieler auf der rechten Seite pudelwohl und scheint nun endlich sein riesiges Potential abzurufen.

Dies ist aber nicht bei allen Spielern der Fall allen voran auf der linken Seite, wo Diogo Dalot, einer der konstantesten und verlässlichsten Spieler unter Ten Hag, etwas auf verlorenem Posten wirkt und als linker Schienenspieler nicht denselben Impact hat wie Amad auf Rechts. Dalot ist aber nicht der einzige Verlierer des neuen Systems. So fühlen sich Garnacho und Rashford, beide gelernte Linksaußenstürmer, im neuen System nicht wohl, da sie nun eher in den Halbräumen hinter der einzigen Spitze agieren müssen und nicht wie bisher an den Außenbahnen ins 1 gegen 1 gehen können, da diese schon von den “Wingbacks” belegt sind.

Ausgerechnet die zwei Portugiesen fühlen sich im neuen System nicht zuhause…

Am gravierendsten ist die neue Umstellung jedoch vielleicht bei Bruno Fernandes. Obwohl der Portugiese bei Sporting noch als Achter gespielt hatte, ist der Kapitän bei United zum Zehner gereift, auch weil seine Qualitäten in der Offensive weit gefragter sind als im zentralen Mittelfeld. Im 3-4-3 gibt es jedoch keinen klaren Zehner, wodurch Bruno entweder wie Rashford, Zirkzee und Garnacho als hängende Spitze agieren soll oder eben als einer der zwei Achter eher defensivere Rollen ausfüllen muss. Bisher hat es Bruno keinesfalls schlecht gemacht, dennoch ist offensichtlich, dass die Stärken des 30jährigen nicht wirklich im neuen System gefördert werden und der Portugiese noch nicht seine Stammposition gefunden hat.

Diese Analysen kann man für die komplette Mannschaft vornehmen, wodurch man die Feldspieler im Kader grob in eine Gewinner- und eine Verlierergruppe des neuen Systems aufteilen kann.

Gewinner: De Ligt, Martinez, Mazraoui, Ugarte, Mainoo, Mount, Amad, Zirkzee, Hojlund

Verlierer: Dalot, Casemiro, Eriksen, Bruno, Rashford, Garnacho

Noch unklar: Maguire, Yoro, Antony, Malacia, Shaw

Durch diese Aufteilung wird deutlich, dass nicht alle Spieler aus dem Kader für das neue System geeignet scheinen, wodurch Amorim in den kommenden Wochen einige Probleme lösen und einige schwerwiegende Entscheidungen treffen muss.

Letztendlich hat Ruben Amorim, ob dieses Umstandes, zwei Möglichkeiten. Die eine radikale Variante wäre es, weiterhin das 3-4-3 zu forcieren, ungeachtet der Ergebnisse, und darauf zu vertrauen, dass der Kader immer souveräner in der neuen Formation auftritt. Diejenigen Spieler, die dann im 3-4-3 keinen Anschluss finden, müssten dann nach der Saison verkauft oder aussortiert werden und mit anderen Profis ersetzt werden, die dieses System beherrschen. Dies wäre zwar radikal aber denkbar, dennoch ist es eher unwahrscheinlich, dass INEOS angesichts der FFP-Regelungen dies zufriedenstellend umsetzen kann oder will. So wird Amorim gezwungen sein, weiter mit dem vorhandenen Personal zu arbeiten, sofern er am 3-4-3 festhält. Dies ist aber riskant, da auch sein Vorgänger Erik ten Hag stur an seine Spielweise festhielt, obwohl dieses deutliche Mängel offenbarte, die mit der Zeit nicht besser wurden, wodurch der Niederländer letztendlich seinen Hut nehmen musste.

Alternativ könnte Ruben Amorim einen Kompromiss eingehen und zwischen den Formationen rotieren, so wie er es mit seiner Startaufstellung gerne macht. Dies bedeutet nicht, dass man das bewährte 3-4-3 über Bord wirft, aber eben auf ein klassisches 4-3-3 oder 4-2-3-1 oder gar ein altmodisches 4-4-2 zurückwechselt, sofern es Gegner, Kader oder Spielstand nicht anders zulässt. Dies klingt womöglich etwas unsouverän und inkonsequent, doch alle großen Trainer der Vergangenheit und Gegenwart haben zum Teil ihre Formation über die Zeit angepasst.

United-Assistent (2004-2008) Carlos Queiroz überredete Ferguson von 4-4-2 auf 4-3-3 umzustellen…

Sogar Sir Alex Ferguson musste Mitte der 2000er lernen, dass sein bewährtes 4-4-2 mit dem er 1999 das historische Triple geholt hatte, überholt und aus der Zeit gefallen war, weshalb er mithilfe von Assistent Carlos Queiroz auf ein 4-3-3 setzte, was mit fünf Meisterschaften und einem weiteren Champions League Titel belohnt wurde. Doch auch in der jüngeren Vergangenheit gab es Beispiele der Formationsrotation. Ole Gunnar Solskjaer, der zwar überwiegend im 4-2-3-1 spielte, ließ ab und an in einem konservativen 3-5-2 oder 5-4-1 spielen, was United unter anderem Siege gegen City und PSG (beides 2020) einbrachte. Unbd selbst der größte Dogmatiker im Fußball Pep Guardiola weicht hin und wieder von Citys 4-3-3 ab, so zum Beispiel im Champions League Finale 2023, als City in einem unorthodoxen 3-2-4-1 auflief.

Ruben Amorim spielte seit Beginn der Saison 2022/23 bei Sporting in einem 3-4-3 und ist seitdem von dieser Formation nicht mehr abgewichen, was angesichts des Erfolges auch nicht vonnöten war. Nun bei Manchester United sind Druck und Fallhöhe größer, während schwache Auftritte wie zuletzt gegen Forest nicht lange toleriert werden. Amorim könnte trotzdem durchaus wie bei Sporting an seiner 3-4-3-Doktrin festhalten, dürfte sich dann aber nicht mehr viele Pleiten wie gegen Forest erlauben, wenn er nicht dieselbe Route wie sein niederländischer Vorgänger einschlagen möchte.

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