Juni 5, 2023

“This feels like Manchester United again!” – Ten Hags Debütsaison in der Analyse Teil I

5. Juni 2023

Von Adam Englert

Es hat nicht sollen sein! United verlor am Samstag das FA Cup Finale äußerst knapp gegen das scheinbar übermächtige Manchester City. Trotzdem steht am Ende der Saison mit Platz 3 und dem Carabao-Cup eine erfolgreiche Saison zu Buche, in dem wir die Erwartungen übertroffen haben. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man darauf zurückblickt in welch desaströsem Zustand Erik ten Hag den Verein vor einem Jahr vorgefunden hatte.

“Tell them, I can fix this” – Brentford als Wendepunkt

Mit den Neuzugängen Christian Eriksen, Tyrell Malacia und Lisandro Martinez und einer starken Vorbereitung begann unsere Spielzeit 2022/23 mit einem Heimspiel gegen Brighton, damals noch unter Graham Potter. Schließlich dauerte es nur 40 Minuten gegen entfesselte Seagulls, um zu lernen, dass sich die Probleme aus dem Sommer nicht in Luft aufgelöst hatten. Durch einen Doppelpack von Groß war die Partie zur Pause quasi entschieden, da United durch ein Eigentor von MacAllister lediglich zum Anschluss kam. Zwar war die Performance keineswegs katastrophal, insgesamt offenbarte man wieder zahlreiche Defizite in allen Mannschaftsteilen sowie in der Spielanlage.

Diese Auftaktpleite war aber nichts im Vergleich zu dem, was eine Woche später im Community Stadium gegen Brentford passierte. Von Beginn an waren die Bees mit ihrer intensiven Spielweise in allen Bereichen überlegen und fegten wie ein Tornado über die unorganisierte United-Elf hinweg, sodass es bereits 0:4 zur Pause stand. United hatte auch in Halbzeit 2 keine Antwort parat und unterlag hochverdient mit vier Toren Unterschied. Damit waren die Red Devils nach zwei Spieltag mit 1:6 Toren Tabellenletzter und es schien so, als würde die Spielzeit 22/23, wie schon die Saison davor, in einem Desaster enden.

Was United-Fans nicht ahnen konnten: Der fünfmalige Champions-League-Sieger Casemiro stand kurz vor einem Wechsel ins Old Trafford. Und das, obwohl der Brasilianer die Abreibung gegen Brentford zuhause vor dem Fernseher verfolgt hatte. Statt den Wechsel abzusagen, sagte Casemiro seinem Berater lediglich: “Tell them I can fix this”. Stand jetzt, die vielleicht wichtigste Aussage der letzten Jahre. Denn Ende August wechselte der Brasilianer nach Manchester und hielt sein Versprechen: Casemiro kam und reparierte tatsächlich auf Anhieb einige der größten Probleme.

Schon die nächste Partie sollte aus United-Sicht deutlich erfolgreicher verlaufen. Und das ausgerechnet gegen den Erzrivalen Liverpool. Die Fans hatten nur zu gut die zwei Klatschen (0:5 und 0:4) aus dem Vorjahr im Kopf, sodass man auch aufgrund des verpatzten Saisonbeginns nur das Schlimmste erwarten konnte und eine weitere Abreibung befürchtete. 

An diesem Spieltag sollte aber alles anders kommen: Gegen ein zugegeben schwaches Liverpool war United von der ersten Minute an hellwach und legte eine leidenschaftliche und energetische Performance an den Tag. Sancho tanzte zum 1:0 die komplette Abwehr der Reds aus, ehe Rashford nach der Pause vor einer eskalierenden Stretford End auf 2:0 stellte. Liverpool konnte zwar durch Salah verkürzen, doch es sollte hintenraus reichen, den großen Rivalen in die Knie zu zwingen! 

Wider aller Erwartungen hatte United den FA Cup Sieger, Carabao Cup Sieger, Vizemeister und Champions League Finalisten der Vorsaison geschlagen und das mehr als verdient! Obendrein zeigten mit Malacia und Martinez zwei Neuzugänge kämpferisch herausragende Leistungen, allen voran Martinez, der den Starsturm Liverpools 90 Minuten lang förmlich aus dem Spiel mobbte. Ten Hag hatte seinen erstes Ausrufezeichen gesetzt und die Fans im Old Trafford schöpften wieder Hoffnung, dass die Spielzeit 2022/23 doch eine erfolgreiche werden könnte.

Von “awful football” zu “Total Football” – Ten Hag implementiert seine Handschrift

Nach der Gala gegen Liverpool mussten die Fans schnell feststellen, dass es etwas dauern würde, bis Ten Hags Handschrift im Old Trafford vollends erkennbar sein würde. Gegen Southampton und Leicester reichte es zu zwei 1:0-Auswärtssiegen, die aber eher durch Busparken und Kampf als durch gepflegtes Kurzpassspiel zustande kamen. Dennoch waren die zwei Zu-Null-Siege ein wichtiger Schritt dahin, endlich wieder defensive Stabilität zu gewinnen und die vielen Kapitulationen der Vorsaison hinter uns zu lassen. Denn rückblickend bei aller spielerischer Verbesserung waren es die vielen weißen Westen, die schlussendlich zu Platz 3 in der Liga führten.

Auch gegen Tabellenführer Arsenal zeigten die Red Devils eine starke Leistung, wenngleich die Spielweise mehr an Ole Gunnar Solskjaer und Jose Mourinho erinnerte, als an Ajax-Schule und Total Football. Arsenal machte das Spiel, wirkte wie die reifere und technisch-versiertere Elf, doch United machte die Tore, und zwar eher aus dem Nichts. Antony, gerade erst aus Amsterdam für fast 100 Mio. Euro gewechselt, begann mit dem Scoring, nachdem er von Rashford brilliant in Szene gesetzt wurde. Ein weiterer Stürmer, der nach Rooney, van Persie, Ibrahimovic, Rashford oder Martial in die United-Folklore einging, bei seinem Debüt im Old Trafford zu treffen. Saka konnte die Begegnung egalisieren, es sollte aber der Tag Uniteds sein, da Rashford mit zwei blitzsauberen Kontertoren den nächsten Heimsieg gegen ein Big-Six-Team eintüten konnte. 

Der “Local Boy”, der König Manchesters war wieder in Form und United ebenso, wodurch Mannschaft und Fans die nächsten Partien nicht erwarten konnten. Es schien als wären die nächsten Duelle gegen Palace und Leeds schon gewonnen, bis eben am 8. September die Queen starb und ein Land unter Schock stand.

Großbritannien kam durch den Tod der Monarchin zu einem Stillstand, was auch dazu führte, dass Palace und Leeds verschoben werden musste. Indes begann aber die Europa League an jenem Donnerstagabend als die Nachricht das Königreich geschockt hatte. Real Sociedad war der Gegner zum Auftakt im Old Trafford und es sollte wie für ganz England ein Abend zum vergessen werden. Die Spanier, 90 Minuten ohne Torchance, bekamen einen fragwürdigen Handelfmeter zugesprochen und gewannen schmeichelhaft mit 1:0. Eine Woche später rehabilitierte man sich mit einem Sieg bei Sheriff Tiraspol, dem aller ersten Spiel Uniteds in Moldawien, aber es war bereits nach einem Spieltag klar, dass der Gruppensieg und die direkte Quali für das Achtelfinale kein leichtes Unterfangen werden würde.

Anfang Oktober war die Premier League auch endlich zurück, und aus United-Sicht gleich mit einem Knall. Die Elf Ten Hags war im Etihad zu Gast und voller Hoffnung nach Liverpool auch den anderen Erzrivalen zu besiegen… United hatte aber die Rechnung ohne Erling Haaland und einem entfesselten City gemacht, die zuhause eine Sahnetag erwischten. Die Citizens spielten United 90 Minuten lang an die Wand und erzielten sechs Treffer, wobei Haaland und Foden jeweils einen Hattrick schnüren konnten. United kam zwar selbst zu drei Ehrentreffern durch Antony und Martial (2x), dies war aber nur Makulatur an einem rabenschwarzen Tag im Manchester Derby. United hatte nach Brentford wieder ein Debakel erlebt und es wirkte mal wieder so als wäre die Mannschaft zum x-ten Male nicht fähig dem Druck stanzuhalten. Unterm Strich also, ein ernüchternder Nachmittag an dem klar wurde, wie groß der Qualitätsunterschied zwischen United und den Noisy Neighbours tatsächlich war und welch schwere Aufgabe Ten Hag haben würde, diesen großen Qualitätsvorsprung einzuholen.

GOAT-Bye? Ein Weltstar außen vor

United war wieder am Boden der Tatsachen angelangt, doch gegen Everton und Newcastle holte man immerhin vier Punkte. Beim 2:1-Sieg im Goodison Park konnte sich auch Cristiano Ronaldo in die Torschützenliste eintragen, nachdem der Portugiese wie bereits gegen City nur auf der Bank saß. Ten Hag musste aufgrund der hohen Niederlage gegen City viel Kritik einstecken, nicht zuletzt wegen der Degradierung von CR7. Der Fünfmalige Weltfußballer, der mit hunderten Millionen Fans weltweit eine große Lobby besitzt, war sichtlich nicht begeistert von seiner Reservistenrolle, weshalb bereits im Oktober über Spannungen zwischen ihm und dem niederländischen Trainer berichtet wurden. Einen Ronaldo auf die Bank zu setzen, betrachteten viele als Sakrileg, doch Ten Hag blieb wie so oft in dieser Saison seiner Linie treu und ließ den “GOAT” auch gegen Tottenham auf der Bank schmoren.

Nach wenigen Minuten verschwendete aber niemand mehr im Old Trafford einen Gedanken an den Portugiesen, da United gegen Contes Spurs einen furiosen Start hinlegte und teils begeisterten Fußball zelebrierte. Es dauerte zwar bis zum zweiten Durchgang, ehe Fred und Bruno gegen den Tabellendritten die entscheidenden Treffer beisteuerten, aber das Old Trafford hatte nach lange Zeit ein unterhaltsames United gesehen, dass nicht nur kampfbetont und leidenschaftlich, sondern auch mit spielerischer Klasse und taktischer Intelligenz, den Gästen nicht den Hauch einer Chance ließ.

Es dauerte zwar insgesamt zwei Monate, aber nach dem Tottenham-Spiel wirkte es so, als hätte Ten Hags Team endlich verstanden, die Vorgaben ihres Trainers umzusetzen. Der Sieg gegen Liverpool war womöglich das bis dato größte Highlight, der Sieg gegen Spurs aber die größte Offenbarung, dass United Fortschritte gemacht hatte und ein neues Kapitel aufschlagen würde.

Doch es wäre eben nicht United, wenn die Presselandschaft nicht doch ein Haar in der Suppe finden würde. In Minute 87, als die Partie schon entschieden war, wollte Ten Hag Ronaldo einwechseln, um Zeit von der Uhr zu nehmen und den emsigen Sancho zu entlasten. Der Superstar weigerte sich jedoch und verließ stattdessen noch vor Abpfiff das Stadion, wodurch CR7 intern für die folgende Partie gegen Chelsea aus dem Kader verbannt wurde. Ronaldo war nachträglich einsichtig, wie sich später aber herausstellte, war das Tuch zwischen der Nummer 7 und seinem Trainer endgültig zerschnitten.

Ten Hag hatte zwar fußballerisch die Kurve bekommen, in diesem Moment musste er aber feststellen, dass Manchester United viel mehr als nur Fußball ist und selbst nach überzeugenden Siegen die Welt um Carrington herum niemals ruhig ist – besonders wenn man den vielleicht größten Fußballer aller Zeiten im Kader hat.

Fortsetzung folgt…

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