
14. Juni 2023
Von Adam Englert
Lest hier Teil IV sowie Teile I-III des Saisonrückblicks:
Die Red Devils waren fraglos gut in Schuss und obenauf, und so war es ja eigentlich schon ideal, dass die nächste Partie ausgerechnet an der Anfield Road stattfinden sollte. Sicherlich kein leichtes Pflaster, aber angesichts der guten Form und den schwächelnden Reds, was sollte da schon schief gehen können…
Null zu Sieben
Um es kurz zu fassen: Es sollte einiges schief gehen, im Grunde alles. In den ersten 45 Minuten hielt man in Anfield noch gut dagegen und hatte auch einige gute Abschlüsse beim Stand von 0:0. Gakpo brachte Liverpool mit einem Schlenzer kurz vor der Pause in Führung, doch auch trotz 0:1 Rückstand hatte man das Gefühl, dass die Red Devils noch im Spiel waren. Anders wie beim 0:4 in der Vorsaison war United keineswegs unterlegen, weshalb ein Comeback im zweiten Durchgang im Bereich des Möglichen schien. Es kam aber alles anders…

Nach der Pause drehten die Reds auf die Kop stürmend auf und spielten sich in einen Rausch. Nunez und Salah stellten sofort auf 3:0, es sollte aber noch schlimmer kommen. Viele Vorstöße aufs Tor hatte Liverpool eigentlich nicht, es sollte aber jeder Schuss ein Treffer werden. Egal was United probierte, das Ballglück war auf Seiten des Teams von Jürgen Klopp, das erbarmungslos über ein wehrloses United hinwegfegte. Auf das 3:0 folgte noch der vierte, fünfte, sechste und auch siebte Treffer, ehe der Schiedsrichter ein Einsehen hatte. 0:7! Uniteds höchste Niederlage in der 31-jährigen Geschichte der Premier League war perfekt und das ausgerechnet beim verhassten Rivalen. Man hatte eigentlich gedacht, dass die Blamagen und Kapitulationen mit der neuen Saison verschwunden seien, doch ausgerechnet unter Heilsbringer Ten Hag bekam man eine Abreibung, die man selbst unter Rangnick oder Solskjaer nicht erlitten hatte. Und das auch ohne einen Maguire oder einen Ronaldo, dem man als Hauptverantwortlichen ausmachen konnte.
Liverpool hatte im ganzen Spiel nur acht Torschüsse abgegeben, aber davon sieben versenkt. Das Zustandekommen des Ergebnisses war mit einem xG-Wert von 2,91 zu 0,92 tatsächlich sehr unglücklich aus United-Sicht, dies schützte die Mannschaft aber nicht davor, medial zerrissen zu werden. United-Legende Gary Neville nahm sich dabei besonders Kapitän Bruno-Fernandes zur Brust:

“Diese zweite Halbzeit war eine absolute Schande, eine Frechheit. Keiner hat dies mehr verkörpert als Bruno Fernandes, der heute peinlich war, eine Schande, in diesem Spiel.
Bruno Fernandes kann einen durch seine Art provozieren, aber in dieser zweiten Halbzeit war er beschämend.
Aber auch der Rest des Kaders ist heute untergetaucht. Die ganze Viererkette war eine Schande. Das darf nicht die Norm werden. Sowas dürfen wir nie wieder sehen.”

Auch Ex-Kapitän Roy Keane wählte deutliche Worte:
“Die Körpersprache von Bruno Fernandes war nichts weiter als beschämend. Er ist ein talentierter Junge, aber erst ist auch Kapitän. Er hat so viel Talent, aber seine Körpersprache mit seinen wedelnden Armen und wie er nicht mit zurückgelaufen ist? In der Kabine wäre man damit nicht zufrieden.
Ich bin bei United immmer vorsichtig: letzte Woche haben sie den Pokal gewonnen, mit großem Jubel und das nehm ich ihnen auch nicht übel. Aber gegen West Ham war es schon sichtbar, dass der Zirkus zurück in der Stadt ist.
Ich war als Spieler immer darauf bedacht, dass keiner überheblich wird, denn man sieht was in diesem Sport passieren kann, wenn das passiert.
Ich sehe heute die Spieler nach der Halbzeit auf den Rasen zurückkehren. Sie liegen 0:1 in Anfield hinten und sie lachen und scherzen mit dem Liverpool-Staff, mit dem Torwarttrainer. Diesen Müll kann ich nicht sehen.
Du bist 0:1 in Anfield hinten, das hier ist eine ernste Sache. Das ist ein Sport für Erwachsene, daher sollte man tunlichst dieses Lachen und Witzemachen weglassen. Und gerade in dieser zweiten Halbzeit haben einige Spieler das Handtuch geworfen. Am Ende der Partie hat nämlich keiner mehr gelacht.”
Ohne Frage United war wieder auf dem Boden der Tatsachen angelangt. Auch Online in den sozialen Medien bekamen Spieler und Trainer ihr Fett weg. Kein Spieler, egal wie gut in den Wochen davor, wurde von der Kritik ausgelassen. Einige User waren sich sogar einig, dass Ten Hag und auch der komplette Kader nicht gut genug wären, um das Trikot der Red Devils zu tragen. Dies war vermutlich aus dem Affekt, dennoch sprachen die vielen Emotionen eine klare Sprache. Nur eine Woche nach dem Gewinn des EFL-Cups und dem Highlight gegen Barcelona war man wieder bei den Fans unten durch. 0:7 zu verlieren war schon schlimm genug, aber 0:7 bei Liverpool…das war inakzeptabel.
Von Hero to Zero in nur einer Woche. Auch das war United in der Saison 2022/23…
Die Wochen nach dem Schock
Gegen Betis im Europa League Achtelfinale konnte man sich mit einem deutlichen 4:1 rehabilitieren, es wäre aber korrekt zu sagen, dass das schmachvolle 0:7 nicht spurlos an der Mannschaft vorbei gegangen wäre. Beim Heimspiel gegen Tabellenschlusslicht Southampton kam man nicht über 0:0 hinaus, überwiegend da Casemiro zum zweiten Mal in der Saison Glattrot gesehen hatte, zum zweiten Mal eine harte Entscheidung, die nicht mit der Linie der Referees in der Saison übereinstimmte.

Das Rückspiel bei Betis wurde mit einem ungefährdeten 1:0-Sieg bewältigt, nur drei Tage später stand aber die Revanche im St James Park gegen Newcastle an. Und das ohne den gesperrten Casemiro. Die Magpies hatten in der Saison schon manch große Mannschaft allen voran zuhause geärgert und auch United sollte an jenem Sonntag einen schmerzhaften Nachmittag erleben!
Newcastle erwischte vor heimischem Publikum einen Sahnetag und spielte das überfordete United schwindelig. Zwar dauerte es eine Halbzeit, aber nach der Pause ging das Powerplay der Magpies weiter, die schlussendlich 2:0 gewinnen sollten. Damit hatte United nur einen Punkt aus den letzten drei Ligapartien eingefahren mit einer Tordifferenz von 0:9. Zu allem Überfluss war damit die Top 4 in Gefahr, das eigentlich wichtigste Saisonziel. Der Finalsieg gegen Newcastle wirkte in diesem Moment ganz weit weg. United brauchte wieder Punkte und zwar schnell, auch weil mit Brighton, Liverpool und Tottenham die Konkurrenten im Nacken saßen!

Einer der Geschichten dieser Saison sind aber nicht nur die großen Siege und die derben Niederlagen, sondern auch die Comeback-Qualitäten, die die Mannschaft über die komplette Spielzeit zur Schau stellte. Nach der Pleite gegen Newcastle konnte man mit drei Siegen am Stück antworten. Einem 1:0-Sieg zuhause gegen Brentford, folgte ein 2:0 im Old Trafford gegen Everton und danach ebenfalls ein 2:0-Sieg im City Ground bei Forest. Vintage-United war das sicherlich nicht und der Mannschaft war anzumerken, dass die Leichtigkeit aus dem Winter verflogen war. Trotzdem hatte man die Kurve bekommen und die Zuversicht war wieder da, dass es ergebnistechnisch bergauf gehen würde, auch in der Europa League!
Spanische Wochen – Frust statt Fiesta
Der FC Sevilla, sechsmaliger Gewinner der Europa League , sozusagen der Endgegner in der Europa League, war wieder einmal Gegner Uniteds im Viertelfinale des Lieblingswettbewerbs der Andalusier. Dies war schon alleine kurios, da United nicht nur im Achtelfinale auf den Stadtrivalen Real Betis getroffen hatte, sondern davor auch im Sechzehntelfinale den FC Barcelona ausgeschaltet hatte, obendrein aber noch auf Real Sociedad in der Gruppenphase getroffen war. Damit musste man insgesamt sieben Europapokalspiele in Folge gegen spanische Teams bestreiten, ein irrsinniger Zufall, den es so noch nie für eine Mannschaft im Europapokal gegeben hatte.
Nach dem Fall des Riesen Barcelona und dem lockeren Sieg gegen Betis, war man vor dem Hinspiel gegen den FC Sevilla trotz desaströser Bilanz (2 Niederlagen, 1 Unentschieden) zuversichtlich, dass man auch den letzten spanischen Vertreter im Wettbewerb nach Hause schicken würde. Dieses positive Gefühl wurde nach nur 21 Minuten bestätigt, da Marcel Sabitzer, im Winter vom FC Bayern ausgeliehen und damit erster Österreicher in der Historie Uniteds, zweimal eiskalt zuschlag und die Heimelf 2:0 in Front brachte. In den weiteren 65 Minuten war die Frage eigentlich nur noch wie hoch der Sieg gegen limitierte Andalusier stattfinden würde, bis die Schlussphase des Grauens anbrach:
In der Halbzeit musste bereits Raphael Varane durch Harry Maguire verletzungsbedingt ersetzt werden, United war aber weiterhin oben auf und hatte ebenso das Gros an Chancen. Fünf Minuten vor Ende nahm die Partie jedoch eine dramatische Wendung. Jesus Navas Flanke wurde vom unglücklichen Malacia ins eigene Tor abgefälscht, womit die Spanier ohne eigenen Torabschluss auf 2:1 verkürzen konnten. In der nächsten Szene kam es aber noch dicker, da Lisandro Martinez, einer der überragenden Säulen der Spielzeit 2022/23 umknickte und humpelnd das Feld verlassen musste, was sich später als Saisonaus für Licha herausstellen sollte. Zu allem Überfluss musste United, aufgrund des ausgeschöpften Wechselkontingents und ohne eigenes Verschulden quasi, die Schlussphase zu zehnt zu Ende bringen. Sevilla drückte daher auf den Ausgleich und kam zum nächsten glücklichen Moment, als Maguire einen Kopfball En-Nesyris an De Gea vorbei ins Tor leitete.

Statt 3:0 oder 4:0, was angesichts der Überlegenheit ein faires Ergebnis gewesen wäre, musste sich United mit einem 2:2 begnügen und ohne Vorsprung eine Woche später nach Andalusien fliegen. Neben dem unglücklichen Ausgang des Hinspiels musste man dazu noch auf die Stamminnenverteidiger Varane und Martinez verzichten, zudem auch auf Bruno Fernandes, der seine dritte gelbe Karte gesehen hatte und gesperrt fehlte. Diese Hypothek konnte United schließlich nicht mehr bewältigen, da man beim zweiten Besuch innerhalb von ein paar Wochen im Süden Spaniens völlig chancenlos war. Unglücksrabe Harry Maguire brachte die Hausherren dabei auf die Siegerstraße, indem er vor dem Strafraum den Ball vertändelte und En-Nesyri alleine vor De Gea leichtes Spiel hatte. Von diesem Schock erholte sich United dann nicht mehr, im Gegenteil dominierte der FC Sevilla vor heimischer Kulisse nach Belieben und kam durch zwei Torwartpatzer von De Gea zu zwei weiteren Toren. Die Red Devils hatten, ob der Ausfälle und der Müdigkeit, nichts mehr entgegenzusetzten, womit man sich mit einem 0:3 sang- und klanglos aus der Europa League verabschiedete. Das Ausscheiden an sich war irgendwo verkraftbar, die Art und Weise aber äußerst bitter, da man die Vorentscheidung im Hinspiel mit Pech und Unvermögen verpasst hatte und im Rückspiel mal wieder die weiße Fahne gehisst hatte.

Damit waren dann auch die weiteren Saisonziele klar definiert. In der Premier League Top 4 erreichen und den FA Cup gewinnen, wobei man bei letzterem nur drei Tage später in Wembley gegen die Überraschungstruppe aus Brighton das Halbfinale vor der Brust hatte. Und angesichts der peinlichen Vorstellung in Andalusien am Donnerstagabend und den Ausfällen sprach wenig dafür, dass United im Duell mit den Seagulls den Hauch einer Chance haben würde…