
5. Juli 2022
Von Adam Englert
GOAT-Bye? Warum United das Kapitel CR7 beenden sollte!
,,Es ist Ronaldo. Es ist Manchester United. Das Theater lebt seinen Traum. Madeira, Manchester, Madrid, Turin und nun nochmal Manchester. Verbunden in rot. In dieser Ruhmeshalle des Sports erneuert. Ein wandelndes Kunstwerk. So wertvoll, dass es kaum zu bemessen ist, unnachahmbar und unverfälscht, 18 Jahre seitdem dieser ehrfurchtsvolle Teenie mit seiner Ballkunst und seinem Spielwitz diesen historischen Ort zum ersten Mal betrat, nun aber in tadelloser Reife! CR7 und United sind wieder vereint! re-UNITED!”
Mit diesen Worten läutete Amazon-UK-Kommentator Peter Drury die Rückkehr CR7s ein, als er im September, mehr als 12 Jahre nach seinem Abschied, wieder den Rasen des Old Trafford als Red Devil betrat. Der Verlorene Sohn war endlich heimgekehrt und die Meisterschaft schien zum Greifen nahe. Wer sollte dieses neugeborene United nun mit dem größten Spieler seiner Generation aufhalten? Ronaldo und Manchester United das passte einfach zu gut in die märchenhafte Geschichte des Vereins, dessen Historie fast schon Synonym für Comebacks, Drama und Mystik ist. Das Hollywood-Drehbuch schien nun vollendet. Es war alles angerichtet, um eine der epischsten Sagen in der Geschichte des Sports zu schreiben.
Doch wie so oft im Fußball kam alles anders als erwartet… Als Ronaldo letzten Sommer quasi aus dem Nichts ins Old Trafford wechselte, hätte sich wahrlich keiner ausmalen können wie desolat die Spielzeit 2021/22 laufen würde. Vielleicht haben die Beteiligten an die Netflix-Doku “Last Dance” gedacht, die die ebenso märchenhafte Geschichte erzählt wie Michael Jordan Mitte der 90er zu den Chicago Bulls zurückkehrte und drei NBA-Titel in Folge gewinnen konnte. Doch so wie “die Schweden keine Holländer sind”, mussten Sportfachmänner und -frauen feststellen, dass die Premier League eben nicht die NBA ist…
Im Mai 2021 verpasste United, seit 2017 titellos, in einem dramatischen Endspiel den Europa League Titel denkbar knapp gegen Villarreal im Elfmeterschießen. Dafür hatte man jedoch in der Liga mit Platz 2 die beste Platzierung in der Post-Ferguson-Ära erreicht. Zudem hatte man ein funktionierendes Team, eine echte Einheit, gespickt mit jungen Spielern, die an einem guten tag jede Abwehr Europas schwindelig kontern konnte, obgleich sie damals schon offensichtliche spielerische Defizite hatte. United war im Sommer 2021 trotz des Dramas in Danzig sicherlich im Aufwind, ein schlafender Riese, dem nur noch der gewisse X-Faktor fehlte, um an die großen vergangenen Tage anzuknüpfen. So war es eigentlich jedem naheliegend, dass das fehlende Puzzleteil womöglich ein Starspieler sein könnte, der die vielen Chancen vollenden sollte, aber auch eine Führungspersönlichkeit sein würde, der die jungen Spieler besser machen, sowie auch täglich im Training zu neuen Höchstleistungen pushen würde. Und wer würde besser in diese Rolle schlüpfen können als CR7, der “GOAT”, der United vor über einer Dekade zum letzten Champions League Titel geführt hatte und seine Liebe und Dankbarkeit dem Verein gegenüber nun zum idealen Zeitpunkt neu entdeckt hatte?!
Das Ronaldo-Paradoxon
An dieser Stelle wollen wir das Trauma der Spielzeit 2021/22 nicht allzu sehr wiederaufleben lassen. Kurz gefasst, die Saison war schlichtweg ein Desaster, woran auch Vereinslegende Solskjaer sowie Fußballprofessor Ralf Rangnick nichts mehr ändern konnten. Egal ob Offensive oder Defensive, der komplette Kader versagte fast auf voller Linie, wobei nur zwei Akteure aus dem formschwachen Haufen Elend herausstachen. Schlussmann David De Gea … und eben Cristiano Ronaldo. So bescheiden die Saison für United auch lief, Cristiano Ronaldo lieferte das ab, was er versprach. So erzielte der Portugiese 24 Treffer in 38 Partien, eine beachtliche Quote für einen 37-jährigen in der besten Liga der Welt. Bei diesen Toren handelte es sich auch keineswegs nur um Abstauber oder “Penaldos”, sondern es befanden sich darunter auch Traumtore wie das 1:0 aus 30 Metern gegen Tottenham oder auch dramatische Last-Minute-Tore in der “Fergie-Time” wie das 2:1 gegen Villarreal, die das Old Trafford zum Beben brachten oder gar das geniale 2:2 in Bergamo. Rein statistisch betrachtet hielt Ronaldo seinen Teil des Abkommens ein, allerdings womöglich auf Kosten seiner Mitspieler. Denn wie immer im Fußball gibt es zwei Seiten der Medaille, die mit Blick auf die Werte der letzten zwei Saisons offensichtlich werden.
Ganze 121 Mal traf United in der Saison 2020/21, genau 50 Mal mehr als in der letzten Spielzeit. Topscorer damals war Bruno Fernandes, der 28 Treffer beisteuerte – letzte Saison waren es bei Ronaldos Landsmann dafür nur noch 10. Bei Edinson Cavani war der Einbruch noch extremer, da der Uru nur zweimal im Vergleich zu seinen 17 Toren in der Vorsaison traf, der ferner die komplette Spielzeit sichtlich unzufrieden mit seiner Jokerrolle war und des öfteren “verletzt” in Uruguay blieb. Ähnlich bescheiden lief es auch bei Lokalmatador Marcus Rashford, dessen Torausbeute von 21 auf lediglich fünf schrumpfte, während der fast schon vergessene andere Neuzugang Jadon Sancho ebenso mit nur fünf Treffern nicht wirklich angekommen ist. Die Gründe für die jeweiligen Flauten sind wohl vielfältig und nicht alleine auf die Präsenz von CR7 zurückzuführen, neu ist diese Entwicklung bei den Teamkollegen des “GOAT” aber auch nicht. So blühte Wayne Rooney als Torjäger erst so richtig auf als es Ronaldo 2009 nach Madrid verschlug, während dort sein unerreichbarer Einfluss Benzema in den Hintergrund stellte, genau den Benzema, der in der abgelaufenen Spielzeit Europas Hinterreihen in Angst und Schrecken versetzte und womöglich Ende des Jahres den Ballon d’Or in Händen halten wird. Ähnlich lief es auch bei Paulo Dybala, der bei Juventus vom Starspieler zum Nebendarsteller degradiert wurde. Obendrein gibt es noch die etlichen Youngster aus der portugiesischen Nationalelf z.B. ein Diogo Jota, Bernardo Silva, Rafael Leao, Andre Silva, Joao Felix und auch Teamkollege Bruno Fernandes, deren Stern im Trikot der Selecao noch nicht aufzugehen vermochte.
Als Ronaldo letzten Sommer die Alte Dame verließ und seinen Wechsel zurück ins Theater der Träume verkündete, hätten die Abschiedsgrüße aus Turin deutlich herzlicher ausfallen können. Europameister Bonucci ließ u.a. verlauten, dass Ronaldos Abschied keinesfalls ein Verlust sei: “In der nahen Vergangenheit haben wir den Charakter Juves vermissen lassen, wir spielten zwar mit einem großen Champions namens CR7, allerdings wollten wir ihn stets anspielen, da wir glaubten, dass er alle Spiele für uns gewinnen könnte. Erst jetzt haben wir unsere Demut neu entdeckt, die uns hilft wieder siegreich zu sein.” Torwartlegende Gigi Buffon teilte indes Bonuccis Meinung: “Ich habe zwei jahre mit Ronaldo zusammen gespielt und wir hatten Erfolg, aber ich glaube Juve hat dabei die DNA verloren als Team zu agieren. Wir haben 2017 das Champions League Finale erreicht, weil wir einerseits eine erfahrene Truppe waren, aber eben auch weil wir eine Einheit waren, wobei es zusätzlich innerhalb des Teams einen gesunden Konkurrenzkampf gab. Das haben wir dann alles mit Ronaldo verloren.” Vor einem Jahr wird man diese Stimmen aus Italien eher als Missgunst und Neid abgestempelt haben, ein paar Monate später allerdings kann man den Kern dieser Aussagen teilweise nachvollziehen.
Bei aller Kritik ist es dennoch sehr kurios, fast schon absurd, einen Weltklassespieler wie Ronaldo, der Topscorer innerhalb des Teams ist, für das schlechte Abschneiden verantwortlich zu machen, besonders auch da CR7 sicherlich keine Absicht für die miles Form seiner Teamkollegen zu unterstellen ist. In den zahlreichen sozialen Netzwerken (auch auf dieser Seite) waren die Fans durchaus gespalten, ob der Neuzugang CR7 Fluch oder Segen für die Red Devils sei. Oft war u.a zu lesen “Wo würden wir ohne die Tore von Cristiano Ronaldo in der Tabelle liegen?” Auf diese Frage gibt es keine klare Antwort. Vermutlich liegt die Antwort irgendwo zwischen Platz 2 und der Championship, dementsprechend auf welcher Seite der Diskussion man sich befindet. Von Manchester bis Mumbai und Mombasa bis Mexiko Stadt wird man folglich wohl bis in Ewigkeiten diskutieren, ob Ronaldos Comeback dem Team geschadet oder geholfen hat, allerdings wird man auch mit allen möglichen wissenschaftlichen Methoden, statistischen Erhebungen und Modellen wohl keine eindeutige Antwort finden.
Total Football statt One Man Show
Und das Fazit? Nüchtern betrachtet ist es jetzt für beide Seiten der richtige Schritt in der neuen Spielzeit getrennte Wege zu gehen. Ronaldo ist nun 37 und obwohl er optisch den Körper eines 23-jährigen hat, wird auch CR7 nicht mehr allzu lange auf Topniveau spielen können, weshalb der Schritt nochmal zu einem Verein in die Königsklasse zu wechseln, aus seiner Sicht nachvollziehbar ist. (Wobei an dieser Stelle das Thema “Treue” nicht mehr aufgerollt werden sollte, ein Buzzword, das im Fußball schon längst seine Bedeutung verloren hat). Cristiano Ronaldo möchte den Verein verlassen und wenn wir in den letzten Spielzeiten etwas gelernt haben, dann dass man eher auf Spieler setzen sollte, die mit vollem Herzen bei der Sache sind und nicht die, die mit einem Bein schon aus der Tür raus sind…hust, Pogba, hust, hust…
So schmerzhaft es nun ist, dass die Rückkehr des Verlorenen Sohnes nicht als Happy End in die Annalen eingehen wird, so ist es aber womöglich für den neuen Trainer Erik ten Hag ein Segen. Bei Ajax hat sich der 52-jährige mit modernem Hochgeschwindigkeits-Fußball einen Namen gemacht, wobei Pressing, hohes Anlaufen und maximale Laufbereitschaft zu den wichtigsten Tugenden gehörten. Ein System, das mit jungen, hungrigen und unbekümmerten Akteuren besser funktioniert als mit gesättigten Weltstars. Selbst die größten CR7-Fans werden daher zugeben müssen, dass Ronaldo in seinem jetzigen Alter und mit seinen Starken wohl kaum in das System des Niederländers passen würde. Gleichzeitig wird sich Ten Hag vermutlich innerlich freuen, dass er nicht bei jeder potenziellen Nichtberücksichtigung des Weltstars in der neuen Spielzeit einer Schar von erbarmungslosen Journalisten erklären muss, warum er den vielleicht besten Torjäger aller Zeiten für einen Elanga oder einen Martial auf der Bank lässt. Ronaldo kann vielleicht am wenigsten dafür, aber sein Stellenwert im Fußball hat mittlerweile ein Level erreicht, dem kein Trainer und kein Verein der Welt gerecht werden kann. Jeder Verein, der den trickreichen Portugiesen unter Vertrag nimmt, wird unweigerlich zum “FC Ronaldo” werden müssen, allein schon aus finanziellen und marketingtechnischen Gründen. Wie viele Fans sind letzte Saison ins Old Trafford gepilgert nur um den Ausnahmekönner einmal live im Stadion zu sehen? Hunderttausende? Und dazu noch die neuen Social Media Follower!? So aufregend und lukrativ das auch sein mag, diese Art von Fanverhalten und diese Art von Rummel sind sportlich für keinen Verein bekömmlich, besonders nicht für einen angeschlagenen Riesen wie Manchester United, der sich nach Jahren der Erfolglosigkeit wieder in die höchsten Kreise hocharbeiten möchte. Alleine in den letzten Jahren haben sich die Trainer Allegri, Sarri, Pirlo, Solskjaer und Rangnick die Zähne an der Personalie Ronaldo ausgebissen. Da wäre es doch fast schon masochistisch, wenn Ten Hag neben dem größten Umbruch in diesem Jahrhundert auch noch den CR7-Hype bei Amtsantritt bewältigen müsste.
Eine neue Ära?
Dann wäre schlussendlich noch die Historie, ja die gute alte Vereinshistorie unseres geliebten englischen Rekordmeisters. In der Ferguson-Ära verspotteten wir United-Fans allzu gerne unsere Rivalen aus Liverpool, dass sie sich nur auf ihre Historie besinnen würden, da sie in der Gegenwart keine Erfolge vorzuweisen hätten. Während United 13 Premier League Titel einsackte mussten man sich an der Merseyside mit Erinnerungen an Shankly, Paisley und Dalglish trösten. Nun hat sich das Blatt leider gewendet. Während das Team von Jürgen Klopp regelmäßig Titel gewinnt und Champions League Finale bestreitet muss die Social Media Abteilung von United “olle Kamellen” aufwärmen, um die Fans zwischen den Spielen bei Laune zu halten: “Hier seht euch zum 803. Mal Solskjaers Siegtor im Finale 99 an, oh und hier sind nochmal Beckhams schönste Freistöße, ach schaut her, erinnert ihr euch noch an Ryan Giggs Solo gegen Arsenal… und, und wisst ihr noch als John O’Shea Torwart spielte…und kennt ihr noch Federico Macheda, wieso redet eigentlich keiner mehr über Federico Macheda!?”
United wirkt mittlerweile so als wäre man in den 90ern und Nullerjahren zurückgeblieben, einerseits mental, aber leider auch sportlich . Und wenn man zynisch sein möchte, könnte man behaupten, dass der Transfer Ronaldos letztendlich nichts anderes als ein letzter Versuch war, die Ferguson-Ära nochmal aufleben lassen, indem der Schotte höchstpersönlich seinen portugiesischen Ziehsohn an den Ort zurück lockte, wo damals alles begann. Diese Art der Personalpolitik kann bedauernswerterweise nicht funktionieren, wenn wir als Verein im Jahr 2022 erfolgreich sein wollen. Mit Erik ten Hag haben wir nun einen der aufregendsten Trainer der Welt verpflichtet, der eine klare Spielidee hat und auch mit der Zeit sicherlich wieder schönen Fußball im Old Trafford spielen lassen wird, vorausgesetzt man stellt ihm die Spieler zur Verfügung, die er auch wirklich verpflichten möchte. Wir haben mit Jadon Sancho, Bruno Fernandes oder selbst Marcus Rashford und Anthony Martial tolle Ballkünstler, die sicherlich noch nicht am Zenit sind, zusätzlich mit Garnacho, Hannibal, Elanga oder Amad und der ganzen “Class of 22” (FA Youth Cup Sieger) die Stars von Morgen, die nur darauf warten in den nächsten Jahren das Old Trafford zu rocken. Man kann der Zukunft als United-Fan durchaus positiv gestimmt sein, dafür wird man allerdings die Vergangenheit so glorreich sie auch war in den Geschichtsbüchern zurücklassen müssen. Und dazu gehört nun mittlerweile auch Cristiano Ronaldo, auch wenn er heute wie damals sicherlich einer der größten Spieler ist die jemals im Theater der Träume aufgelaufen sind.