Warum das Kapitel Anthony Martial bei Manchester United noch nicht vorbei sein muss!

25. Januar 2022
Von Adam Englert
Liebe auf den ersten Blick
“Martial…he’s isolated Skrtel here…Ohhh, YESSSSS! Welcome to Manchester United, Anthony MARTIAAAL”!!! Mit diesen ikonischen Worten begrüßte Sky-UK-Kommentator Martin Tyler Neuzugang Anthony Martial am 12. September 2015 im Old Trafford, der soeben mit einem grandiosen Solo zum 3:1 das Topduell gegen Liverpool entschieden hatte. Nur 20 Minuten nach seiner Einwechslung, als 18jähriger wohlgemerkt. United-Fans hatten zwar schon viele märchenhafte Debüts erlebt, doch gleich mit einem Traumtor gegen Liverpool zu starten, ließ auch langjährige Red Devil Supporter aufhorchen. Manchester United und Anthony Martial, das war Liebe auf den ersten Blick!
Viele Experten in England konnten im Sommer 2015 wenig mit dem Namen Anthony Martial anfangen, als United den schlaksigen Franzosen für 36 Mio. Pfund aus Monaco verpflichtete. Dabei hatte Martial einige Wochen zuvor die Abwehr des FC Arsenal, damals noch ein großer Name im europäischen Fußball, im Champions League Achtelfinale mit seiner Mischung aus Geschwindigkeit und Technik fast im Alleingang auseinander genommen, wodurch jedem hätte klar sein müssen, was der Name Anthony Martial der Fußballwelt zu bieten hatte.
Schon in seiner Debütsaison überzeugte Martial als Neuner und erbeutete dabei 17 Tore, teils extrem wichtige Treffer, ein wahnsinniger Wert für einen Teenager, besonders in Anbetracht des biederen Spielstils und der insgesamt mageren Torausbeute unter van Gaal. Im Februar debütierte gleichzeitig Marcus Rashford, der ähnlich wie Martial sofort einschlug, sodass Man Utd mit Martial und Rashford, den vielleicht perspektivisch spannendsten Sturm Europas inne hatte. Dem aufregenden Martial lag die Welt zu Füßen, nur sah es leider ein gewisser “Special One” etwas anders…
Nur dabei, statt mittendrin
Am Ende der Saison sprang sogar der FA Cup dabei raus, doch trotz Titel wurde Louis van Gaal entlassen, der vielleicht größte Förderer Martials in seiner United-Karriere. Was danach passierte war mehr als symptomatisch in der Karriere Martials. Jose Mourinho übernahm das Ruder bei den Red Devils und brachte mit ihm Weltstar Zlatan Ibrahimovic, damals fast 35, mit nach Manchester, der fortan die Neuner-Position bekleidete und, vielleicht noch symbolischer, Martials Rückennummer 9 als Willkommensgeschenk erhielt. Martial war fortan nur noch Ergänzungsspieler, musste sich dabei mit Marcus Rashford die Linksaußenposition teilen, wodurch der junge Franzose lediglich acht Saisontreffer erzielte.
Dies war leider nicht die einzige Degradierung in der United-Karriere: So beerbte Romelu Lukaku in der darauffolgenden Spielzeit den scheidenden Ibrahimovic und erhielt sowohl Position und Rückennummer 9 des Schweden. In der Winterpause der selben Saison holte man zusätzlich noch Alexis Sanchez für die linke Außenbahn, wodurch Martial trotz starkem Saisonbeginn immer mehr zu einer Randfigur herabgestuft wurde, im Nachhinein ein historischer Fehleinkauf, da der Chilene bei United auf ganzer Linie enttäuschte.
Erst mit der Entlassung Mourinhos und dem Einsetzen von Ole Gunnar Solskjaer als Interimstrainer erfolgte so etwas wie eine Renaissance des Anthony Martial. Dabei war Tony besonders in der Spielzeit 2019/2020 überragend, als er mit 23 Toren in allen Wettbewerben seine beste Saison im Trikot der Red Devils absolvierte. Diese Ausbeute wurde allerdings mal wieder nicht belohnt, da dem Mittelstürmer Martial mit Edinson Cavani erneut ein Konkurrent zu viel vor die Nase gesetzt wurde, wodurch sich seine Spielzeit erneut drastisch reduzierte.
The “Unhappy One”
In dieser Saison ist Martial durch die Verpflichtungen der Topstars Cristiano Ronaldo und Jadon Sancho sowie dem Durchbruch von Anthony Elanga endgültig außen vor, was sich anhand von nur 210 Minuten Spielzeit in der Liga widerspiegelt. Tiefpunkt dabei war das 2:2 bei Aston Villa, als Interimscoach Rangnick nach dem Spiel verriet, dass Martial sich gewünscht hatte, nicht zum Auswärtsspiel anzureisen. Dies sorgte zurecht für großen Unmut bei den United-Fans, die Martial in den sozialen Netzwerken dafür kritisieren. Martial selbst dementierte zwar die Aussage des deutschen Trainers, wodurch die Wahrheit seines Fehlens bei Villa wohl für immer ungeklärt bleiben wird. Trotz Dementi schien das Tischtuch zwischen United-Fans und Martial zerschnitten, wodurch der Franzose beim 1:0 gegen West Ham am Samstag ausgepfiffen wurde, obwohl die Nummer 9 am späten Siegtreffer beteiligt war.
Neben den sportlichen Rückschlägen Martials war die Fremdwahrnehmung der Fans vielleicht einer seiner größten Probleme in seiner Zeit bei Manchester United. Anders wie beispielsweise Wayne Rooney, der mit feuerrotem Kopf den Platz im Old Trafford hingebungsvoll bearbeitete, wirkte Martial immer etwas unterkühlt, fast schon arrogant. Dies lag wohl zum einen an seine Spielweise, die sehr elegant ist, fast schon mühelos daher kam, wodurch es schon mal wirken konnte, dass der Franzose nicht bereit wäre all seine Körner zu verpulvern. Eine Auftreten, das ihm besonders nach schwachen Auftritten zum Vorwurf gemacht wurde.
Zum anderen wirkte Martial auch mit seiner introvertierten Art oftmals etwas lustlos und weltfremd, konnte auch anders als beispielsweise ein Marcus Rashford nie neben dem Platz positive Schlagzeilen schreiben. Während andere Neuzugänge wie Bruno, Pogba, Cavani oder sogar Maguire zu unverzichtbaren Führungsspielern aufstiegen, gelang es Martial mit seiner etwas unterkühlten Art nie wirklich eine wichtige Säule des Teams zu werden, auch wenn er zu Beginn seiner Karriere bei den Fans sich durchaus großer Beliebtheit erfreute. So verlor die Personalie Anthony Martial im roten Teil Manchesters immer mehr an Bedeutung, was mit seinem potentiellen Verzicht auf die Begegnung im Villa Park vor zehn Tagen seinen traurigen Höhepunkt fand.
Ein neues Kapitel, aber nicht das Ende
Dadurch ist die Entscheidung des Vereins Anthony Martial nach Sevilla auszuleihen aus sportlicher wie auch aus finanzieller Sicht durchaus nachvollziehbar. Dabei bleibt aber zu hoffen, dass sich die Leihe auch für Martial lohnt, da er immerhin beim Tabellenzweiten der spanischen Liga anheuert und, wenn auch international nur in der Europa League, sich bei einem Topteam Europas beweisen kann. Denn eines ist sicher, Anthony Martial bleibt bei aller Kritik ein begnadeter Kicker, lange mit Landsmann Thierry Henry verglichen, der an einem guten Tag auf Weltklasse-Niveau agieren kann. Sollte Tony seine besten Qualitäten, ein Mix aus Geschwindigkeit, Eleganz am Ball und Abschlussstärke, bei Sevilla zeigen, könnte man sich bei United sicherliche eine Rückkehr des zuletzt Unglücklichen vorstellen, wobei man zusätzlich nicht vergessen sollte, dass Martial mit gerade einmal 26 Jahren seine besten Tage noch vor sich haben dürfte.
Edinson Cavani wird den Verein im Sommer ziemlich sicher in Richtung Südamerika verlassen, wodurch ein Platz im Sturm sicher frei wird. Cristiano Ronaldo dürfte wohl auch bei einem Verpassen der Champions League Plätze bleiben, ob der portugiesische Superstar aber noch viele Jahre in der physisch anspruchsvollsten Liga der Welt durchhält, ist allerdings nicht garantiert. In Anbetracht der fehlenden Konstanz der weiteren Offensivleute Rashford, Greenwood, Sancho und Elanga, könnte ein in Spanien rehabilitierter Anthony Martial also noch durchaus eine Rolle spielen, sofern im Sommer nicht weitere Neuzugänge auf im Angriff getätigt werden.
Ob Martial wirklich noch einmal Stammspieler bei United wird, ist eher unwahrscheinlich, doch ein Blick in die Vergangenheit im Old Trafford zeigt dabei auch, dass auch Ergängzungsspieler eine wichtige Rolle spielen können. In der letzten Meistersaison 2012/13 waren so z.B die Tore der Einwechselspieler Chicharito und Danny Welbeck von enormer Wichtigkeit, während sich in den Jahren davor auch Spieler wie Teddy Sheringham, Louis Saha oder Michael Owen und natürlich “Super Sub” schlechthin Ole Gunnar Solskjaer mit der Jokerrolle einen Namen machten.
Eine Zukunft Martials, der in Manchester noch bis 2024 Vertrag hat, ist im Theater der Träume deshalb immer noch durchaus vorstellbar, vieles wird dabei auch darauf ankommen, ob Martial selbst in Manchester bleiben und um seinen Stammplatz kämpfen will oder langfristig seine Zukunft woanders sieht. Sollte “Tony” seine Karriere in Sevilla wieder in Schwung bringen und an die Leistungen seiner Debütsaison anknüpfen, könnte es im Sommer 2022 dann doch wieder heißen: “Welcome (back) to Manchester United, Anthony Martial”!