
Manchester United 2025/26: Neue Außenseiterrolle als Chance für unser Team?
Von Adam Englert
Spätestens nach dem enttäuschenden 0:1 gegen Tottenham im Europa-League-Finale von Bilbao hatten die Fans wohl endgültig die Gewissheit, dass Manchester United nicht mehr zu den großen Teams in Europa zählt.
Aufgrund von Platz 15 in der Tabelle – der schlechtesten Platzierung seit dem Abstiegsjahr 1974 (!) – sowie der Finalniederlage in Bilbao wird Ruben Amorims Team zum ersten Mal seit der Saison 2014/15 nicht im europäischen Fußball vertreten sein.
Dies ist natürlich ein herber Dämpfer für einen Verein, der global immer noch der viertumsatzstärkste und laut Forbes sogar der zweitwertvollste der Welt ist. Doch trotz hoher Ansprüche muss sich United mit einer neuen Realität befassen: dass man nicht mehr mit den Topclubs der Liga mithalten kann – schon gar nicht mit den besten des Kontinents.
Ungeachtet dieser sportlichen Demütigung birgt die sportliche und wirtschaftliche Talfahrt auch eine Chance: Mit der neuen Rolle als Außenseiter lebt es sich grundsätzlich einfacher. Mit den niedrigeren Erwartungen lässt sich zudem leichter unter einem jungen Trainer ein neues, junges Team aufbauen, das in dieser Saison mit frischem Personal und einer neuen Identität daherkommt.
Transfers
Der größte Umbruch im Kader hat im Sturm stattgefunden, wo Amorim sein Personal fast vollständig erneuert hat. Mit Šeško, Cunha und Mbeumo wurden drei neue Angreifer verpflichtet, die zusammen jedoch über £220 Mio. gekostet haben – eine ordentliche Summe, die sicherlich auch Druck auf die Spieler ausüben wird. Benjamin Šeško ist dabei wohl der wichtigste Neuzugang, da man nach nur 44 Saisontoren in der abgelaufenen Premier-League-Saison dringend einen zuverlässigen Mittelstürmer benötigt, der – anders als sein Vorgänger Rasmus Højlund – regelmäßig trifft. Cunha und Mbeumo werden dagegen auf den beiden Zehnerpositionen agieren, wo sich Amorim ebenfalls deutlich mehr Offensivimpulse erhofft.

Dies bedeutet jedoch auch, dass bis zum Deadline Day am 1. September noch einige Offensivakteure den Verein verlassen werden. Bisher hat lediglich Marcus Rashford mit seiner Leihe zum FC Barcelona den Absprung geschafft. Die aussortierten Jadon Sancho, Alejandro Garnacho und Antony warten dagegen noch vergeblich auf einen Abnehmer. Ebenso wird erwartet, dass Rasmus Højlund den Verein – zumindest per Leihgeschäft – verlässt, wobei in seinem Fall der AC Milan ernsthaftes Interesse zeigt. Führungsetage und Trainerteam werden nun hoffen, dass sich für die genannten Spieler Abnehmer finden, die auch bereit sind, einen fairen Preis zu zahlen – was angesichts der schwachen Verhandlungsposition durch die öffentliche Ausbootung alles andere als garantiert ist.
Anders als im Angriff verlief die Transferperiode in den übrigen Mannschaftsteilen eher ruhig. Der 18-jährige Paraguayer Diego León ist der einzige weitere Neuzugang; er wechselte für €4 Mio. von Cerro Porteño zu United und soll nun als Back-up für Christian Dorgu auf der linken Außenbahn agieren. Einen Abgang erwartet man auch in der Abwehr, wo Tyrell Malacia nach seiner Leihe nach Eindhoven verkauft oder erneut verliehen werden soll. Ansonsten scheint die Kaderplanung im hinteren Drittel abgeschlossen zu sein, sodass höchstens noch eine Position im defensiven Mittelfeld neu besetzt werden könnte. Hier gibt es Gerüchte, dass sich United um Brightons Shootingstar Carlos Baleba bemüht. Heute (15.8.) wurde auch der Name Morten Hjulmand gehandelt. Konkrete Berichte liegen dazu allerdings noch nicht vor – ein bisschen Spannung bleibt also bis zum Ende der Periode.
Insgesamt ist positiv, dass man bereits vor Saisonstart auf (fast) allen Positionen doppelt oder gar dreifach besetzt ist. Amorim kann also zum Auftakt gegen Arsenal wohl seine beste Elf aufbieten, die sich hoffentlich in der Vorbereitung weiter auf sein Spielsystem und seine Philosophie eingestellt hat.
Taktik und Spielausrichtung
Taktisch sollte es nach nunmehr neun Monaten im Amt keine großen Überraschungen oder neuen Innovationen geben. Ruben Amorim wird wie angekündigt bei seinem 3-4-3 bzw. 3-4-2-1 bleiben und diese Formation konsequent umsetzen. Dabei wird man einerseits hoffen, dass sich der Kader mit jedem Tag etwas mehr an die neue Ausrichtung gewöhnt. Andererseits wird erwartet, dass die Neuzugänge im Sturm besser ins taktische Korsett passen als ihre Vorgänger.
Neben Šeško auf der Neun sollten Cunha und Mbeumo die beiden Zehnerpositionen bekleiden. Ersatzspieler sind hier Chido Obi-Martin und Joshua Zirkzee. In einer defensiveren Ausrichtung könnten Mason Mount, Bruno Fernandes oder auch Kobbie Mainoo dort spielen, um dem Team mehr defensive Stabilität zu verleihen. Kapitän Bruno Fernandes ist dabei das größte Fragezeichen, da der Portugiese bisher sowohl als Zehner als auch als Achter in Amorims System eingesetzt wurde – ohne dass bislang klar ist, wo seine beste Position im 3-4-3 liegt.
Problemzone im Team bleibt weiterhin das zentrale Mittelfeld, wo Amorim sein ideales Duo auf der Doppelacht noch nicht gefunden hat. Casemiro ist dabei wohl gesetzt, doch der mittlerweile 33-jährige Brasilianer befindet sich im letzten Jahr seines Vertrages und ist damit nicht nur alterstechnisch keine Dauerlösung in der Zentrale. Manuel Ugarte dürfte wohl die zweite Position bekleiden – sofern nicht Bruno, Mount oder Mainoo eine Position nach hinten rücken. Danach wird es jedoch spürbar dünn im Mittelfeld, zumal Toby Collyer, der kurz vor einer Leihe zu West Bromwich Albion steht, nicht mehr zur Verfügung steht. Ein Neuzugang für das zentrale Mittelfeld wäre somit nicht nur empfehlenswert, sondern dringend notwendig, um mit ausreichender Kadertiefe in die Saison starten zu können.

Das A und O des 3-4-3 sind für Ruben Amorim die Außenbahnspieler, auch Schienenspieler genannt. Wenn man der Vorbereitung trauen darf, sind derzeit Patrick Dorgu auf links und Amad auf rechts gesetzt, sodass Dauerbrenner Diogo Dalot zunächst als Back-up eingeplant ist. Neben den dreien stehen noch Diego León und Harry Amass auf links sowie Noussair Mazraoui auf rechts zur Verfügung.
Amorims Kader ist seit dieser Saison besonders in der Verteidigung gut abgesichert. Auf links werden sich Luke Shaw, Ayden Heaven und der bald wiedergenesene Lisandro Martínez um den Platz in der Dreierkette streiten. In der Zentrale hat man mit Routinier Harry Maguire, Matthijs de Ligt und Jungstar Leny Yoro ebenfalls drei starke Optionen, während auf rechts mit Noussair Mazraoui, Youngster Tyler Fredericson sowie – bei Bedarf – de Ligt kaum Sorgen bestehen.
Im Tor hingegen könnte es noch interessant werden. André Onana ist zwar weiterhin die etatmäßige Nummer eins, verpasste jedoch die Vorbereitung aufgrund einer Verletzung, sodass sich sein Ersatzmann Altay Bayındır zum Saisonstart Hoffnungen auf den Platz zwischen den Pfosten machen darf. Zudem gibt es mit Routinier Tom Heaton noch einen weiteren Ersatz, der allerdings wohl nur im Notfall zum Einsatz kommen wird. Aufgrund der bislang enttäuschenden Leistungen Onanas in seiner United-Karriere ist ein Neuzugang auf der Torwartposition nicht auszuschließen – auch wenn die Lücke im zentralen Mittelfeld derzeit dringlicher erscheint. Dennoch ist es nicht unmöglich, dass im Laufe der Saison ein komplett neuer Keeper im Kasten steht.
So könnte United zum Auftakt gegen Arsenal spielen:

Vorbereitung
In der Preseason konnte Amorims Elf selten große Glanzpunkte setzen, insgesamt kann man aber mit der Vorbereitung durchaus zufrieden sein. In der Premier League Summer Series, die in den USA ausgetragen wurde, gewann man zwei Spiele und spielte einmal remis, womit man letztendlich das Viererturnier als Sieger beendete. Dazu kamen zwei eher enttäuschende Unentschieden gegen Leeds und Fiorentina, womit man die Preseason immerhin ungeschlagen abschloss.

Wichtiger als die Ergebnisse war jedoch, dass alle Stammspieler Einsatzminuten sammeln konnten und sich dabei niemand schwer verletzte. Amorim kann somit ohne Verletzungssorgen in die Saison starten. Spielerisch wurden – mit Ausnahme des 4:1 gegen Bournemouth – kaum Glanzpunkte gesetzt, weshalb man zum Start keine Wunder und keinen Traumfußball erwarten sollte. Angesichts der katastrophalen Vorsaison wird dies allerdings ohnehin niemand tun – was der Mannschaft womöglich sogar guttut.
Burton und Bolton statt Bilbao und Bukarest
Neun Teams aus der Premier League werden in der Spielzeit 2025/26 am Europapokal teilnehmen – den Namen Manchester United wird man bei den jeweiligen Auslosungen jedoch vergeblich suchen. Zum ersten Mal seit 2014/15 wird man eine Saison ohne internationalen Wettbewerb bestreiten, was für viele Fans eine herbe Enttäuschung darstellt.
In Anbetracht der schwachen Ligabilanz könnte dieser Umstand für Amorims Mannschaft jedoch eher Segen als Fluch sein. In der letzten Saison tat sich das Team trotz teils sehr guter europäischer Ergebnisse mit dem eng getakteten Spielplan schwer. Die fehlende Gelegenheit, sich an Amorims System zu gewöhnen, wurde in der Premier League – der besten Liga der Welt – eiskalt bestraft. Allein ab dem Boxing Day kassierte man elf Niederlagen.
Nun kann die Mannschaft die Pausen unter der Woche nicht nur zur Regeneration nutzen, sondern sich in den Trainingseinheiten weiter im neuen System einspielen. Spätestens ab dem Winter könnte United hier sogar einen Vorteil gegenüber den Rivalen haben, die durch die vielen Europapokalspiele auf dem Zahnfleisch gehen dürften. Eine starke Rückrunde wäre daher nicht nur Wunschdenken, sondern fast schon Pflicht für ein Team mit unseren Ansprüchen.

Auch die Pokalwettbewerbe gewinnen an Bedeutung. Ohne den Europapokal sind der League Cup und der FA Cup die beiden realistischsten Titelchancen in der kommenden Spielzeit. Die Fans werden diese Begegnungen mit deutlich mehr Begeisterung aufnehmen – in der Hoffnung, dass dort neben dem Ligaalltag einige Highlights geboten werden. Im League Cup geht es übrigens bereits in weniger als zwei Wochen los, wenn man in der zweiten Runde auswärts auf Grimsby Town trifft.
Ausblick
Im Anschluss an das verlorene EL-Finale sagte Luke Shaw im TV-Interview:
„Es ist schwer, die Saison in Worte zu fassen, aber ich denke, für einen Club wie Manchester United ist das wirklich nicht gut genug. Ich insbesondere, aber ich glaube, wir alle müssen uns heute Abend hinterfragen.“
„Sind wir gut genug, um hier zu sein? Denn für diesen Club, in dieser Saison, ist das nicht akzeptabel.”
Shaws Worte fassen die neue Situation im Verein nach der desaströsen Vorsaison gut zusammen. Die Spieler wissen, dass sie Leistung bringen müssen – andernfalls müssen sie sich einen neuen Verein suchen. Amorim hat insbesondere bei Rashford und Garnacho deutlich gemacht, dass er nichts Geringeres als 100 % Einsatz und Motivation duldet. Es kann etwas dauern, bis diese neue Kultur Früchte trägt. Dennoch sollten die Spieler wissen, dass im Old Trafford unter dem Portugiesen und dem INEOS-Regime ein anderer Wind weht.
Doch auch Ruben Amorim muss in dieser Spielzeit liefern. In der letzten Saison gab es noch zahlreiche mildernde Faktoren für den Portugiesen, der in 25 Premier-League-Partien lediglich sechs Siege einfuhr. Nun, mit Transferausgaben von über £200 Mio. und zahlreichen namhaften Abgängen, werden die Ausreden aus der Vorsaison nicht mehr ziehen. Amorim hat ohne Frage die Rückendeckung des Vorstands – allen voran Jim Ratcliffe, der den 40-Jährigen in den höchsten Tönen lobte. Nichtsdestotrotz weiß auch er, dass in diesem Geschäft nur die Ergebnisse zählen. Als Minimalziel sollte daher zumindest ein Platz in der oberen Tabellenhälfte herausspringen.

Zudem muss der Portugiese beweisen, dass sein 3-4-2-1-System auch in der besten Liga der Welt funktioniert – und dass sich die Mannschaft unter seiner Führung auf allen Ebenen, insbesondere aber spielerisch, verbessert. Mit Šeško, Mbeumo und Cunha hat die Vereinsführung die Voraussetzungen dafür geschaffen, nun müssen Trainer und vor allem die Spieler dieses Vertrauen auf dem Platz zurückzahlen.
Die Erwartungshaltung in der Saison 2025/26 ist dennoch eine andere. Seit Jahren hat Manchester United seinen „Fear Factor“ verloren – auch im Old Trafford, wo man letzte Saison neun Niederlagen kassierte. In der kommenden Spielzeit wird sich diese Tendenz wohl noch verstärken. Die neuen direkten Rivalen heißen derzeit eher Bournemouth, Brighton, Fulham oder Forest statt Liverpool, Man City, Chelsea oder Arsenal. Nach Jahren des Mittelmaßes ist Manchester United sportlich gesehen nur noch ein großer Name.
Diese Entwicklung ist zwar ernüchternd, bietet aber auch Chancen. Ohne große Erwartungen und den damit verbundenen Druck spielt es sich oft leichter. Außerdem könnte die Mannschaft mehr Zeit und Ruhe für ihre Entwicklung bekommen, da man nicht mehr zwanghaft Siege einkaufen möchte, sondern das Team langsam heranführt – ohne mit der Brechstange neue Stars integrieren zu müssen.
Kann man also schon jetzt etwas Optimismus wagen? Der absolute Tiefpunkt scheint mit Platz 15 erreicht zu sein – alles andere als eine deutliche tabellarische Verbesserung wäre schlicht inakzeptabel. Die Mannschaft verfügt nicht nur dank der Neuzugänge über eine enorme individuelle Qualität, die eigentlich reichen sollte, um die Europapokal-Plätze anzugreifen oder gar zu erreichen.
Fußball ist ein schnelllebiger Sport, und vieles kann sich über Nacht ändern. Für die eigene mentale Gesundheit ist es jedoch besser, in der kommenden Spielzeit bescheiden zu agieren und sich kleine Ziele zu stecken. Und wer weiß – vielleicht könnte Manchester United nach Jahren der Enttäuschung ausnahmsweise die positive Überraschung der Saison 2025/26 werden.
Träumen wird man ja wohl dürfen…