
Scott McTominays Abschied – Kluge Transferpolitik oder Identitätsverlust?
Von Adam Englert
Heute wurde endgültig bekannt, dass Scott McTominay 22jährige Zeit bei United endet und er für ca 30 Mio € zu Napoli in die Serie A wechseln wird. Als Akademie-Absolvent würde McTominays Verkauf einen „reinen Gewinn“ darstellen, und das macht diese Situation wichtig für die Einhaltung der Finanzregeln der Premier League und der UEFA durch United, zudem befindet sich McTominay im letzten Jahr seines Vertrags und könnte folglich in der kommenden Saison den Klub ablösefrei verlassen.
Obwohl dieser Wechsel aus finanzieller Sicht sinnvoll erscheint und auch McTominays Fähigkeiten schon seit längerem angezweifelt werden, stößt dieser Transfer doch etwas sauer auf.

Scott McTominay spielt seit seinem 5. (!) Lebensjahr für Manchester United und hat sich eineinhalb Dekaden danach seinen persönlichen Traum erfüllt, als er im Jahr 2017 unter Jose Mourinho debütierte und sich in der Folgesaison in den Kader fest spielte. In seiner United-Karriere fiel McTominay nie als großer Techniker oder Spielmacher auf, dafür war der Schotte schon früh ein Leader, der sich in jeden Zweikampf hineinwarf und sich uneigennützig in den Dienst der Mannschaft stellte. In den letzten Jahren entwickelte sich McTominay von einem reinen Sechser zu einem “Box to Box”-Spieler, der immer wieder mit wichtigen Toren seinen Wert unter Beweis stellte, so auch letzte Saison, als er in 43 Spielen 10 Treffer beisteuerte.
Angesichts der taktischen Ausrichtung Ten Hags sowie des Durchbruchs von Kobbie Mainoo war es jedoch eindeutig, dass “McSauce” zumindest in der Startaufstellung in dieser Spielzeit wenig Chancen haben würde. Dass man aber den Schotten für eine solide aber keinesfalls überdurchschnittliche Ablöse abgibt, scheint aber zumindest undurchdacht, wenn nicht sogar etwas überhastet, auch angesichts des Alters von Eriksen und Casemiro (jeweils 32) in einem ohnehin dünn besetzten Mittelfeld.
„Bei McTominay hingegen weiß man, was man bekommt.“
United-Legende Rio Ferdinand äußerte dazu auch seine Bedenken und sagt dazu bei YouTube:
„Ich schaue mir Scott McTominay an und denke mir, nicht jeder Spieler kann ein Star oder ein herausragender Spieler sein. Aber um die Liga zu gewinnen, braucht man Leute wie John O’Shea, Wes Brown, Darren Fletcher … man braucht einen Julian Alvarez bei Man City. Vielleicht stehen sie nicht oft in der Startaufstellung, aber sie sind immens wichtig. Man braucht diese Spieler, und die meisten von ihnen kennen die DNA des Vereins, vor allem diejenigen, die die Akademie durchlaufen haben. Das Ganze gefällt mir gar nicht. Um ihn zu ersetzen, musst du 30 oder 40 Millionen Pfund ausgeben und dem Ersatz 150.000 Pfund pro Woche geben. Es wird nicht billig sein und es ist ein Glücksspiel, da man nicht weiß, was man bekommt. Bei McTominay hingegen weiß man, was man bekommt. Er ist vielleicht nicht immer eine 9 von 10, aber ausnahmslos eine solide 7 von 10, und manchmal wird er eine 8 von 10 sein und einen wichtigen Treffer erzielen.”
McTominay besitzt eben, zynisch gesagt, keine “Teckers”, ist kein “Baller” und besitzt womöglich keine “Aura”, ist dafür aber ein wertvoller Kaderspieler, wie es eben John O’Shea, Wes Brown oder sein Landsmann Darren Fletcher waren, deren Glück es aber war in einer Zeit zu spielen, in der jeder Fehler und jede unterdurchschnittliche Leistung nicht von halbstarken YouTubern und selbsternannten “Taktik Nerds” in den sozialen Medien zerrissen wurden, anders als McTominay, der regemäßig in den verschiedenen Fankanälen kritisiert wird.
Profit vs. Identität
Vielmehr scheint Scott McTominays größtes Problem ironischerweise darin zu liegen, dass er aus der Academy stammt und sein Transfer daher als „reiner Gewinn“ betrachtet wird, da United für McTominay natürlich nie eine Ablöse bezahlt hat. Daher macht der Transfer aus United-Sicht Sinn, da man den Erlös 1:1 ins Budget umsetzen und damit den nächsten Transfer finanzieren kann.
In dieser Transferperiode gab es bereits bei den Rivalen ähnliche Transfers, aus genau jenem Grund. So musste Conor Gallagher eher unfreiwillig Chelsea in Richtung Atletico verlassen, da Chelsea das Geld dringend benötigte, um die Verpflichtung ihrer zahlreichen Neuzugänge zu ermöglichen. Ähnlich erging es Bobby Clark, der von Liverpool zu Salzburg wechselte sowie Emile Smith Rowe, der von Arsenal zu Fulham innerhalb London den Verein tauschte, während die Gunners in dieser Transferperiode auch noch Eddie Nketiah loswerden möchten.

Aufgrund des Financial Fair Play ist es für englische Vereine am profitabelsten, ihre Eigengewächse zu verkaufen, was natürlich mit einem Identitätsverlust einhergeht.
Ein Weltverein wie Manchester United wird in der heutigen Zeit niemals den Anspruch haben können, überwiegend lokale Spieler einzusetzen, dennoch besteht der Mythos unseres Vereins auch darin, dass man den Erfolg nie ausschließlich gekauft, sondern meist selbst in der Nachbarschaft gescoutet und im Verein ausgebildet hat. In den 1960ern gewannen drei unserer Eigengewächse Bobby Charlton, Denis Law und George Best jeweils den Ballon d’Or, während aus unserer Jugend andere Weltstars wie Ryan Giggs, Paul Scholes und David Beckham hervorgegangen sind. Ferner noch kann United mit Stolz auf den Rekord zurückblicken, dass man seit 1937 bei jedem Spiel mindestens einen Academy-Spieler im Kader aufgeboten hat, eine fast hundertjährige Tradition, die die Verbundenheit des Clubs mit seinen Jugendspielern verkörpert.

Diese Tradition wird natürlich mit dem Abgang McTominays keinesfalls zu Ende gehen, dennoch ist es eine traurige Entwicklung im modernen Fußball, dass Topclubs genötigt werden, gerade ihre Eigengewächse zu verkaufen, in einer Zeit, in der sich die Topteams ohnehin immer mehr von ihrer lokalen Fanbasis weg entwickeln.
Sportlich gibt es selbstverständlich Argumente, McTominay zu verkaufen, besonders wenn es dadurch gelingt, den Wunschspieler Manuel Ugarte ins Old Trafford zu lotsen und man damit das Loch auf der Sechs für einige Jahre stopfen kann. United wurde in den letzten Jahren oftmals vorgeworfen dem Erfolg Sentimentalität und Treue vorzuziehen und zu lange an Spielern festzuhalten, die den Verein nicht weiterbringen. Und neutral betrachtet ist vielleicht der größte sportliche Vorwurf den man McTominay machen kann, dass er sich in den letzten 3-4 Jahren nicht so entwickelt hat, wie man es sich vorgestellt hätte, sodass es durchaus nachvollziehbar ist, ihn mit einem vier Jahre jüngeren Profi zu ersetzen.
Somit wird man erst in den kommenden Jahren sehen, ob sich der Transfer des Eigengewächses als Fehler erweist. Dass man dennoch als Fan einem Spieler wie McTominay nachtrauert und Abneigung gegenüber dem modernen Fußball offenlegt, ist an dieser Stelle aber durchaus nachvollziehbar. McTominay ist eine absolute Identitätsfigur, ein Spieler, der unserem Verein seit Kindestagen angehört hat und immer 100% im Trikot der Red Devils gegeben hat. Und auch das sollte im modernen Fußball einen Wert haben, der vermutlich den 30 Mio €, die uns Napoli überweisen wird doch um einiges übersteigt…

Thank you for everything, Scotty!