April 19, 2021

Theater der Alpträume: Warum die Gründung der European Super League der schwärzeste Tag des Vereins seit dem Münchener Flugzeugunglück ist.

19. April 2021

Von Adam Englert

Um kurz nach Mitternacht wurde die größte Angst der Fans bestätigt: 2022 soll eine Europäische Superliga beginnen, in der zwölf europäische Topteams (Italien, Spanien und England) teilnehmen, darunter auch Manchester United. Dies würde bedeuten, dass die Teilnehmer nicht mehr an den UEFA-Wettbewerben beteiligt wären und vermutlich auch langfristig die heimischen Ligen verlassen würden. Dieses Erdbeben wäre ein Einschnitt in der Geschichte des Vereins, ein Arbeiterverein, der 1878 von Zugarbeitern der Lancashire und Yorkshire Railway als Newton Heath FC gegründet wurde. 1958 wurde unser Team weltbekannt, als die Busby Babes bei der Rückkehr aus Belgrad verunglückten und acht von Ihnen beim tragischen Flugzeugunglück ihr Leben ließen, um trotz der Katastrophe zehn Jahre später aus den Ruinen wiederaufzustehen und den Pokal der Landesmeister zu gewinnen.

Dieser Mythos könnte seit gestern Nacht Geschichte sein, da unsere Besitzer diesen europäischen Wettbewerb (heute Champions League) für nicht mehr zeitgemäß halten. Auch die Premier League, die wir 13 Mal gewinnen konnten, bis 1992 die englische Division 1, halten unsere Besitzer für unzureichend. Stattdessen sollen wir ab nächster Saison in einer Liga der Reichen mitspielen, in der es keinen Auf- und Abstieg gibt, in einer Liga nach amerikanischem Format, wo der Champion durch Play-Off-Spiele entschieden wird.

Dass die Fans nicht gefragt und respektiert wurden, überrascht bei dieser Entscheidung wenig. Seit der Übernahme durch die Glazers mussten die Fans schon ertragen wie ihr Verein, der Mittelpunkt ihrer Existenz, von geldgierigen und fußball-desinteressierten ausländischen Finanzmännern ausgenommen wurde. Nun haben die Glazers sich nicht nur den Fans widersetzt, sondern auch den United-Legenden und Spielern! Sir Alex Ferguson, Gewinner von 13 Meisterschaften und dem Treble-Sieg 99, dem Manchester United nicht nur seine Erfolge, sondern auch sein internationales Standing sowie die exzellente finanzielle Kraft zu verdanken hat, wurde offenbar auch nicht konsultiert. Der Schotte äußerte sich bei der Nachrichtenagentur Reuters vor kurzem wie folgt:

,,Eine europäische Superliga würde 70 Jahre Fußballhistorie zu Ende bringen. Sowohl als Spieler bei Dunfermline sowie als Trainer von Aberdeen, mit denen ich den Pokal der Pokalsieger gewonnen hab, fühlte sich der Europapokal als Provinzclub an, als würde man den Mount Everest besteigen. (…) In meiner Zeit bei United haben wir in vier Champions League Finals gespielt, die für mich die besondersten Nächte waren. Ich bin mir nicht sicher ob Manchester United ein Teil davon sein wird, da ich nicht Teil des Entscheidungsprozesses bin!“

Was ein demenzkranker Bobby Charlton davon hält, die größte Legende, die unser Verein und der englische Fußball jemals hervorgebracht hat, der 1958 im Schnee von München seinen Teamkollegen beim Sterben zusehen musste, wird man sich denken können. Die Tatsache, dass man das Erbe und den Mythos der Busby Babes mit Füßen tritt, macht deutlich, dass die Besitzer neben ihrer Geldgier auch keine emotionale Bindung zur Geschichte des Vereins und den Fans haben, die scharenweise jeden 6. Februar nach München pilgern, um den Toten zu gedenken. Neben Ferguson und Charlton ist es ebenso offensichtlich, dass man zu keinem Zeitpunkt ehemalige Spieler konsultiert hat. Wenn man die Meinung von Gary Neville, Ander Herrera oder Rio Ferdinand zum Thema berücksichtigt, ist es deutlich, dass kein Ex-United-Spieler diesen Schritt gut heißen würde. Auch beim aktuellen Team sollte die Meinung ähnlich sein. Bruno Fernandes, Lenker und Denker der Mannschaft in dieser Spielzeit, ließ schon auf Twitter andeuten, was er von der Superliga hält. Es bleibt zu hoffen, dass die Spieler sich in den kommenden Tagen zu Wort melden und sich gegen die Pläne des Vereins positionieren, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass ihre Teilnahme an Welt- und Europameisterschaften auf der Kippe steht.

Selbst unter neutraler Betrachtung ist der Schritt einer Superliga zum Scheitern verurteilt. Die geplante Liga, bestehend aus 15 ständigen Mitgliedern und fünf Gastteams, soll im NBA-Format mit zwei Zehnerligen gespielt werden, wobei sich die besten Teams aus den zwei Ligen für ein Viertelfinale qualifizieren, wobei am Ende einer KO-Phase ein “Meister” gekürt werden soll. Dieses Muster ist nicht nur uninteressant, da der Reiz eines Topspiels gegen Real Madrid oder Juventus verfliegen würde, sondern auch ungerecht, da der Tabellenerste einer Liga keinen Titel bekommt und gar der Tabellenfünfte bei diesem System Meister werden kann. Ein System ähnlich wie das der nordamerikanischen MLS, das bisher in Europa kaum über den Status einer Witzliga hinausgekommen ist.

Und apropos ungerecht: Die Tatsache, dass die Liga ständige Mitglieder hat, die nicht auf- und absteigen, widerstrebt jeglichem Sinn von Gerechtigkeit und Fußballromantik. Teil des Fan-Daseins sind nicht nur die Siege gegen City oder Liverpool, sondern auch 0:4-Blamagen gegen MK Dons im Pokal oder Heimniederlagen gegen den Tabellenletzten aus Sheffield. 1974 sind wir aus der Division 1 abgestiegen, nur um ein Jahr später mit neuem Elan zurückzukehren.

Fußball lebt von Höhen und Tiefen sowie Erfolgen und Tragödien. Achterbahnfahrten der Gefühle, die uns Fans nun genommen werden. Die Anmaßung, dass Teams wie Arsenal oder Spurs an der Liga teilnehmen, die noch keinen Champions League Titel zu verzeichnen haben und sich auch sportlich nicht qualifizieren werden, deutet schon darauf hin, dass nur wenig an dieser Liga “super” sein wird. Auch Manchester United muss sich da selber an die eigene Nase fassen, dass man arrogant genug ist sich nach der Ferguson-Ära noch als Topteam zu bezeichnen. Keiner weiß genau, wie diese Superliga exakt ablaufen wird, sollte sie tatsächlich eingeführt werden. Aus Sicht der Mehrheit der Fans jedenfalls, kann und darf ein solches Konstrukt nicht zum Erfolg führen. Der Guardian schrieb dazu treffend: “Das ist eine Idee, die sich nur jemand ausgedacht haben kann, der Fußball wirklich bis auf die Knochen hasst”.

Bei genauerer Betrachtung kann man dabei nur zum Schluss kommen, dass diese Liga keinen sportlichen Mehrwert hat, sondern lediglich ein Vehikel der Vereine ist, aus dem Fußballgeschäft noch mehr Geld zu gewinnen. So stand z.B. Barcelona erst vor der Insolvenz, da man sich mit über einer Milliarde Euro Schulden konfrontiert sah, während Arsenal vom britischen Steuerzahler Kredite bekam, um in der Pandemie seine Mitarbeiter zu bezahlen. Neben einer siebenstelligen Zahl von Toten weltweit, gepaart mit einer Weltwirtschaftskrise, die viele Menschen in den Ruin getrieben hat, wirkt diese 3,5-Milliarden schwere Superliga wie Hohn und Spott all den Menschen gegenüber, die in der Coronakrise alles verloren haben. Stichwort Pandemie: Es ist keinesfalls ein Zufall, dass dieser Entschluss ausgerechnet in der größten Pandemie seit 100 Jahren getroffen wurde. Es ist den Clubbesitzern gerade Recht, dass die Stadien leer sind und die Fans sich kaum zu Wort melden können. Hätte man dies vor oder nach der Pandemie verkündet, hätte es zahlreiche Protestaktionen in und außerhalb des Stadions gegeben. So bleibt es in den Stadien leise und die Zuschauer an den Bildschirmen werden kaum mitbekommen, wie entsetzt und wütend die Fans die Entscheidung zuhause auffassen.

Generell fühlt es sich gerade als United-Fan so an, als ob man in einer Diktatur lebt. Die Glazers, die wohl viel zu lange von den eigenen Supportern geduldet wurden, haben über den Köpfen von Fans und Spielern hinweg eine Entscheidung getroffen, die wohl nur eigenen Interessen entsprechen. Die Besitzer betrachten den Verein als Kapital, mit dem es Geld zu verdienen gibt. Die meisten Fans werden dies bereits 2005 vermutet haben, doch nun haben sich die schlimmsten Befürchtungen bestätigt, dass die Glazers nicht davor zurückschrecken aus einem nordenglischen Traditionsverein ein US-amerikanisches Franchise zu machen. Allein die Tatsache, dass die Glazers seit Jahren kaum ein Spiel besucht haben und Joel Glazer, ein Mann, der die Abseitsregel nicht kennt, Vizepräsident dieser Liga wird, spricht dabei Bände.

Dabei sind wir nicht alleine: die Fans von Liverpool, Man City oder Arsenal werden sich, ob dieser Nachricht ähnlich angewidert fühlen. Auch sie wurden von destruktiven und kulturfremden Besitzern in eine Situation befördert, worüber sie keine Kontrolle haben. Insgesamt haben zwölf Eigentümer ohne jegliche demokratische Legitimation eine Entscheidung getroffen, die Millionen Fans weltweit verletzt und mitten in einer ohnehin schrecklichen Pandemie, ihnen die letzte Hoffnung und Freude im Leben nimmt. Sicherlich sehen es nicht alle Fans so aus den geschätzten 1.1 Milliarden United Fans weltweit. Es werden sich wahrscheinlich genug finden, die sich Karten für eine Super League Begegnung kaufen, sei es im Old Trafford oder in New York, Shanghai oder Singapur. Die Art von Fan, die brav den Fanshop leer kauft, sich lautlos auf die Tribüne setzt, beim Tor klatscht und das Erlebnis mit fünf Hashtags bei Instagram dokumentiert. Diese Art von Fan ist wohl das Modell der Zukunft, bei dem keine Entscheidungen der Besitzer kritisiert werden, sondern bei dem still als Kunde das Produkt Fußball mit viel Geld bezahlt wird.

Selbst wenn die European Super League doch noch aufgehalten wird, wird der Fußball und Manchester United nicht mehr das sein, was es einmal war. Mit dieser Entscheidung hat der Vorstand des Vereins offengelegt, dass ihm die Geschichte egal ist und dass er nur Verachtung für die United-Fans übrig hat, während das einzige Heiligtum das Geschäft ist. Es ist kaum vorstellbar, dass die ohnehin schon enttäuschten Fans dem Verein je wieder vertrauen und verzeihen können, dass man ihnen die schönste Nebensache, wenn nicht gar Mittelpunkt des Lebens, ohne mit der Wimper zu zucken weggenommen hat. Manchester United sowie die anderen elf Vereine werden weiter existieren, womöglich sogar reicher, globaler und berühmter werden, doch sie werden nichts mehr mit dem gemein haben, was einmal war.

Es ist nicht mehr der Verein, der 1968 als erstes englisches Team überhaupt den Pokal der Landesmeister in das Mutterland geholt hat, der 1999 als erstes englisches Team das Triple gewonnen hat, das Team das mit 20 Meisterschaften Rekordmeister des Landes ist. Was bleibt, ist eine leere Hülle, ein Fragment eines ehemals großen Vereins, der nun zu einer Fußball-Firma degradiert wurde. Das Leben und der Fußball gehen weiter und es gibt auf der Welt, zum Glück, noch zahlreiche integre Fußballclubs, denen der sportliche Erfolg und die Meinung der Fans wichtig ist.

Leider gehört spätestens seit heute unser Club, Manchester United, nicht mehr dazu. #SayNoToSuperLeague#GlazersOut

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